Fachkräftelücke trotz Arbeitslosigkeit: Wie passt das zusammen?
Berufsorientierung und Arbeitsmarkt
Sekundarstufe II
Noch nie konnten so viele Stellen in Deutschland nicht besetzt werden wie 2022. Gleichzeitig sind fast 2,5 Millionen Menschen arbeitslos. Das Argument, es fehle nicht an Arbeitskräften, fällt in der öffentlichen Diskussion daher häufig. Doch so einfach ist es nicht.
Ob im Handwerk, in der Altenpflege oder in der Industrie – in immer mehr Berufsgruppen wachsen die Personalengpässe. Der Mangel an Fachkräften hat 2022 einen Höchststand erreicht – rund 630.000 Stellen konnten nicht besetzt werden. Im selben Jahr waren durchschnittlich fast 2,5 Millionen Menschen hierzulande arbeitslos gemeldet. Das scheint sich zu widersprechen: Wie kann es zu wenige Fachkräfte geben, wenn immer noch viele Menschen einen Job suchen?
Ein Hauptgrund ist die Qualifizierung: Oft passt das, was die Arbeitsuchenden können, nicht zu dem, was die Unternehmen brauchen.
Bei Stellen für Geringqualifizierte ist das dagegen selten ein Problem. Jene Arbeitsplätze können Unternehmen leicht mit Menschen besetzen, die keine oder wenig Erfahrung haben. Anders als bei Fachkräften – gemeint sind Personen, die in der Regel eine mindestens zweijährige Berufsausbildung abgeschlossen haben – und Hochqualifizierten können die Unternehmen nahezu alle Helferstellen besetzen (Grafik):
Während in Helfertätigkeiten im Jahr 2022 bundesweit nur rund 500 Stellen unbesetzt waren, fehlten zur selben Zeit 355.000 Fachkräfte mit Berufsausbildung.
Wo eine Ausbildung oder ein Studium benötigt werden, sind Stellen schwieriger zu besetzen. Denn: Hier ist ein kurzfristiges Anlernen unmöglich, wenn nicht entsprechende Abschlüsse oder Berufserfahrung vorliegen.
Gezielte Qualifizierung könnte Fachkräftemangel lindern
Langfristig kann eine gezielte Qualifizierung aber dazu beitragen, die Fachkräftelücke zu verkleinern. Vor allem in der Gruppe der arbeitslosen Helfer schlummert Potenzial. Ihre Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren um 2 Prozent gestiegen – trotz knapp 1,4 Millionen zusätzlich entstandener Arbeitsplätze für Helfertätigkeiten im selben Zeitraum.
Gleichzeitig gibt es zu 64 Fachkraftberufen einen passenden Beruf für Helfer, die die Fachkräfte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützen – unter anderem im Metallbau und in der Elektrotechnik. Jene Helfer eignen sich besonders gut für eine Weiterbildung zur Fachkraft, da sie sich bestenfalls für das jeweilige Berufsfeld interessieren und erste Erfahrungen in diesem Bereich mitbringen.
In 16 dieser 64 Fachkraftberufe ist sowohl der Mangel an ausgebildeten Fachkräften als auch die Zahl der arbeitslosen Helfer, für die es nicht genügend passende Stellen gibt, besonders groß. Hier ließe sich die Fachkräftelücke durch eine Qualifizierung der An- und Ungelernten teils deutlich reduzieren und in einigen Berufen sogar schließen (Grafik):
Würden 15 Prozent der arbeitslosen Helfer in der Metallbearbeitung, für die es deutschlandweit keine passenden offenen Stellen gibt, für eine Tätigkeit als Fachkraft qualifiziert werden, gäbe es in diesem Beruf keine Fachkräftelücke mehr.
Gleiches gilt für den Einzelhandel, die Lagerwirtschaft, für Maler- und Lackiererberufe und für Köchinnen und Köche. In anderen Berufen wie der Elektrotechnik ließe sich die Fachkräftelücke um rund 42 Prozent mindern, würden 15 Prozent der arbeitslosen Helfer für eine Tätigkeit als Fachkraft qualifiziert werden. In der Altenpflege dagegen ist die Fachkräftelücke mit rund 18.000 nicht zu besetzenden Stellen aktuell so hoch, dass selbst die Qualifizierung aller arbeitslosen Helfer nicht ausreichen würde, um den Bedarf zu decken. Das Gleiche gilt für die Gesundheits- und Krankenpflege.
Probleme in der Praxis
Und zu aller Theorie kommen noch praktische Probleme hinzu. Wohnortfragen, die finanzielle Situation oder fehlendes Selbstvertrauen können den Schritt zur Weiterqualifikation erschweren. Daher ist es wichtig, auf die persönlichen Bedürfnisse arbeitsloser Helfer einzugehen und mit ihnen gemeinsam passende Weiterbildungsmöglichkeiten zu erörtern. Nicht immer ist eine zwei- oder dreijährige Berufsausbildung der richtige Weg. Auch Teilqualifikationen, mit denen Helfer anspruchsvollere Aufgaben übernehmen können, entlasten den Arbeitsmarkt. Firmen sollten diese Optionen in Betracht ziehen und nach Möglichkeit nutzen, um vakante Stellen dauerhaft zu besetzen.
Darüber hinaus könnte die Bürgergeldreform diesen Prozess unterstützen. Die Politik setzt nämlich nun stärker auf Weiterbildung beziehungsweise das Erlangen von Berufsabschlüssen für Arbeitsuchende und weniger auf die Vermittlung in Hilfsjobs.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de