Was bringt Menschen mit Behinderungen das Homeoffice?

Berufsorientierung und Arbeitsmarkt

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
15.03.2023
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Überall auf der Welt sind aufgrund der Coronapandemie viele Beschäftigte ins Homeoffice gewechselt. Dieser Trend zeigte sich auch bei den Erwerbstätigen mit Behinderungen, wenngleich weniger ausgeprägt.

Eigentlich bringt das Homeoffice für Erwerbstätige mit einer Behinderung viele Vorteile mit sich: Der – vor allem für mobilitätseingeschränkte Menschen oft beschwerliche – Arbeitsweg entfällt. Auch lassen sich Arbeitszeiten und Pausen im Homeoffice in der Regel flexibler gestalten, sodass zwischendurch beispielsweise die Möglichkeiten für Therapien oder andere individuelle Termine gegeben sind. Haben Beschäftigte mit einer Behinderung von dem pandemiebedingten Digitalisierungsschub also profitiert?

Leider nur bedingt, wie eine IW-Studie nun nachweisen konnte. Denn sowohl vor Ausbruch der Pandemie als auch im ersten Coronajahr lagen in Deutschland die Homeoffice-Quoten der Erwerbstätigen mit einer Behinderung unter denjenigen der Erwerbstätigen insgesamt (Grafik):

Von 2017 bis 2020 lag der Anteil der Erwerbstätigen mit einer anerkannten Behinderung, die regelmäßig von zu Hause aus arbeiteten, stets etwa 3 bis 4 Prozentpunkte unter dem entsprechenden Anteil bei allen Erwerbstätigen.

Im Jahr 2020 – also im ersten Jahr der Pandemie – hat etwa jede sechste Person mit einer Behinderung oder Schwerbehinderung mindestens an einem Tag in der Woche im Homeoffice gearbeitet. Von den Erwerbstätigen insgesamt tat dies gut jeder Fünfte. In absoluten Zahlen waren 2020 von den rund 2,8 Millionen Erwerbstätigen mit einer anerkannten Behinderung rund 469.000 regelmäßig im Homeoffice, von den 1,6 Millionen Erwerbstätigen mit einer Schwerbehinderung traf dies auf rund 273.000 Personen zu.

Ein Hauptgrund für diese Diskrepanz dürfte sein, dass sich die Berufe, denen Erwerbstätige mit Behinderung nachgehen, seltener für das Homeoffice eignen. So sind Menschen mit Behinderungen häufig in geringer bezahlten Arbeiter- und Serviceberufen tätig, die oftmals nur in Präsenz ausgeübt werden können.

Dies zeigen auch Zahlen der OECD: Im Durchschnitt der OECD-Länder eigneten sich im Jahr 2019 nur 34 Prozent der Jobs von Beschäftigten mit Behinderungen für das Homeoffice, bei den Beschäftigten ohne Behinderung waren es 39 Prozent. Besonders groß ist die Differenz in zwei deutschen Nachbarländern (Grafik):

In Luxemburg beträgt der Abstand zwischen dem Anteil der für das Homeoffice geeigneten Jobs von Arbeitnehmern mit Behinderungen und dem entsprechenden Anteil bei den übrigen Beschäftigten fast 11 Prozentpunkte, in Österreich sind es gut 8 Punkte.

Weitere Gründe dafür, warum vergleichsweise wenige Beschäftigte mit Behinderungen im Homeoffice arbeiten, sind mangelnde IT-Kompetenz, eine fehlende behinderungsgerechte Ausstattung der Wohnung für die Arbeit, fehlende Barrierefreiheit der Hard- und/oder Software sowie Probleme mit dem Internet. Die geringere Verbreitung von Hard- und Software sowie von Internetanschlüssen in Haushalten, in denen Personen mit Behinderungen leben, trägt zu einer „digitalen Kluft“ gegenüber Menschen ohne Behinderung bei.

Die OECD empfiehlt die Arbeitsform des Homeoffice als Möglichkeit für Personen mit Behinderungen, um überhaupt auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Gleichzeitig warnt sie aber davor, das Homeoffice als Wunderwaffe für die Arbeitsmarktintegration zu propagieren.

Ohne sicheres und bezahlbares Internet geht es nicht

Um Personen mit Behinderungen zu unterstützen, empfiehlt die OECD einen Blick nach Norwegen und Kanada. Beide Staaten haben große Summen investiert, um allen Bürgern den Zugang zu schnellem, sicherem und gleichzeitig bezahlbarem Internet zu ermöglichen. Zudem plädiert die Organisation dafür, für Menschen mit Behinderungen einen Anspruch auf Flexibilität des Arbeitsorts und der Arbeitszeit in Tarifverträgen oder gesetzlichen Regelungen zu verankern. Als Vorbild dafür könne der australische Fair Work Act von 2019 dienen, der nicht nur Erwerbstätigen mit Behinderungen, sondern auch Personen ab 55 Jahren, Beschäftigten mit Pflegeverpflichtungen sowie Eltern mit Kindern unter sechs Jahren flexible Arbeitsbedingungen wie das Homeoffice einräumt, wenn keine betrieblichen Umstände dagegensprechen.

Auch „Third Places”, also soziale Orte außerhalb des eigenen Zuhauses und der Arbeitsstätte, bieten sich als Alternative für Beschäftigte mit Behinderungen an, da sie inspirieren und der sozialen Isolation vorbeugen. Denkbar sind etwa Arbeitsplätze mit einem Screenreader für Blinde in öffentlichen Bibliotheken oder für Rollstühle zugängliche Büros in Gemeindezentren.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de