Deutsche Exportwirtschaft unter Druck
Globalisierung und Europa
Sekundarstufe I + II
Deutschlands Volkswirtschaft ist seit vielen Jahrzehnten stark exportorientiert. Was lange überaus gut funktionierte, könnte in einer sich verändernden Weltwirtschaft zum Problem werden.
Auch wenn Deutschland schon seit einigen Jahren nicht mehr den Titel „Exportweltmeister“ führt: Die Bundesrepublik setzt mehr auf Absatzmärkte im Ausland als die meisten anderen vergleichbaren Volkswirtschaften. Seit 1952 führt Deutschland mehr Waren aus als ein.
Wie handelsoffen ein Land ist, zeigt die Außenhandelsquote: Gemessen wird sie als Summe aus Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für Deutschland betrug der handelsseitige Offenheitsgrad im Jahr 2019 rund 88 Prozent, kaum ein anderes größeres Industrieland kommt auf einen solch hohen Wert.
Doch ein hoher Offenheitsgrad macht auch verwundbar. Wer viel exportiert, ist abhängiger von ausländischen Märkten. Nicht zuletzt die Corona-Krise hat dies nachdrücklich gezeigt:
Die Warenausfuhren Deutschlands sanken 2020 um 9,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Gründe für den Exportrückgang
Die Absatzperspektiven der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt verschlechtern sich jedoch nicht nur pandemiebedingt, auch andere, eher strukturelle Faktoren tragen dazu bei, dass das Exportgeschäft unter Druck kommt.
Deglobalisierungstendenzen: Schon vor der Pandemie gab es Anzeichen für eine verlangsamte Globalisierung. So wuchs der Welthandel zwischen 2012 und 2019 um rund 29 Prozent – und damit etwas langsamer als die Wirtschaftsleistung, die auf 31 Prozent kam.
Zum Vergleich: Zwischen 2000 und 2007 wuchs der reale Welthandel um rund 76 Prozent, während die reale globale Wirtschaftsleistung nur um etwas mehr als 42 Prozent zulegte.
Auch die globalen Direktinvestitionen waren schon zwischen 2017 und 2019 rückläufig. Ähnlich sieht es bei den globalen Wertschöpfungsketten aus; sie expandierten nicht weiter, sondern waren ebenfalls zum Teil rückläufig.
Neuer Protektionismus: Nach der globalen Finanzmarktkrise kam es weltweit zu einem Anstieg der Handelsbarrieren. Das traf auch die deutsche Wirtschaft: Daten von Global Trade Alert zeigen, dass der Saldo aus handelsbeschränkenden und -liberalisierenden Maßnahmen gegenüber deutschen Exporten zwischen 2012 und 2019 von 34 auf 198 stieg. Viele Beschränkungen sind nach wie vor in Kraft. So hat US-Präsident Joe Biden die von seinem Vorgänger Donald Trump eingeführten Aluminium- und Stahlzölle bislang nicht zurückgenommen.
Krisen und Unsicherheiten. Seit 2008 treten gravierende Krisen sehr viel häufiger auf als erwartet: die globale Finanzmarktkrise, die Euro-Schuldenkrise, die Russland-Krise nach der Krim-Annexion 2014 und den folgenden Sanktionen, der Brexit, der Trump’sche Protektionismus, die verschärften geopolitischen Rivalitäten mit China und schließlich 2020 die Corona-Krise. Viele dieser Entwicklungen gelten als „schwarze Schwäne“: als sehr unwahrscheinliche Ereignisse mit hohem Schadenspotenzial.
Diese gravierenden Krisen setzten die meisten deutschen Exportfirmen erheblich unter Druck: So stockte der Export infolge dieser Entwicklungen in den 2010er Jahren deutlich und brach am Ende dieser Dekade tief ein. Die Krisenwirkungen in den jeweils betroffenen Ländern zeigen sich deutlich in der Handelsstatistik (Grafik):
Die deutschen Warenausfuhren nach Italien gingen im Zuge der Euro-Schuldenkrise in den Jahren 2012 und 2013 stark zurück, die Exporte in das Vereinigte Königreich sanken nach dem Brexit-Referendum 2016.
Auch in anderen wichtigen Absatzmärkten kam es zu Exporteinbrüchen: In Russland vor allem in den Jahren 2014 und in 2015, in der Türkei 2014 und 2018.
Damit waren im vergangenen Jahrzehnt viele der wichtigsten deutschen Handelspartner gleichzeitig oder nacheinander betroffen, sodass selbst die breite Diversifizierung der Exportziele eine Verlangsamung des deutschen Exportwachstums nicht verhindern konnte.
Deutsches Exportmodell auch in Zukunft unter Druck
Und was bringt die Zukunft? Das deutsche Exportmodell wird aller Voraussicht nach auch künftig durch Protektionismus, Abkoppelungstendenzen und hohe Unsicherheiten unter Druck bleiben. Das kann gravierende Folgen für den Standort Deutschland haben. Denn bei höheren Handelsbarrieren und anhaltender Unsicherheit gibt es für deutsche Unternehmen große Anreize, ihre Märkte stärker durch eine Produktion vor Ort zu bedienen statt durch Exporte. Das kann auf Kosten der Beschäftigung hierzulande gehen.
Insbesondere China – immerhin Deutschlands zweitwichtigster Exportmarkt (Grafik) – setzt gezielt Anreize, damit sich deutsche Firmen vermehrt in der Volksrepublik ansiedeln.
Dazu gehören:
Erstens: Das noch zu ratifizierende bilaterale Investitionsabkommen zwischen der EU und China würde zwar die Bedingungen für Investitionen in China verbessern, aber nicht die für den Export.
Zweitens: China setzt mehr und mehr auf eigene Produktstandards, was Exporte aus Europa erschwert.
Drittens: Die chinesische Regierung erhöht den Druck auf europäische Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeit in China weiter auszubauen und die Lieferantenbeziehungen zunehmend zu lokalisieren. Dafür wirbt China auch mit Subventionen, etwa mit günstigen Grundstücken oder Steuervorteilen.
Die Rechnung scheint aufzugehen: Einer Befragung der Auslandshandelskammer AHK Greater China zufolge wollen 72 Prozent der in China ansässigen deutschen Unternehmen mehr vor Ort investieren, 43 Prozent wollen als Reaktion auf die Abkoppelungstendenzen sogar ihre Forschung in China ansiedeln.
Eine nicht ganz ungefährliche Strategie – aus zwei Gründen: Erstens werden deutsche Unternehmen angesichts der anhaltenden Handels- und Technologiekonflikte zunehmend zum Spielball der Geopolitik. Zweitens will China unabhängiger vom Ausland werden und setzt mittelfristig stärker auf Selbstversorgung. Wenn China ausländische Firmen nicht mehr braucht, könnte es dort zunehmend ungemütlich werden.
Dieser Text erschien zuerst auf iwd.de.