Die Chronik der Krisen: Von 2006 bis 2014
Globalisierung und Europa
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Die Euro-Schuldenkrise ist noch nicht erledigt. Im Jahr 2015 waren – mal wieder – alle Blicke auf Griechenland gerichtet. An dieser Stelle geht es jedoch um das, was zuvor geschah. Die Chronologie der Euro-Krise ab 2006 hier noch einmal zum Nachlesen.
2006: Die US-Immobilienkrise
Um das heimische Wachstum anzukurbeln, haben US-Hypothekenbanken jahrelang günstige Häuserkredite vergeben – und zwar sogar an solche Schuldner, die sich aufgrund ihrer finanziellen Situation – geringes Einkommen, kein Vermögen – gar kein Haus leisten konnten. Dadurch erhöhte sich die Immobiliennachfrage und die Häuserpreise kletterten in zuvor ungeahnte Höhen. Das wiederum nährte bei vielen Amerikanern die Illusion, ihre Hypotheken allein aus den Wertsteigerungen ihrer Häuser finanzieren zu können. Als dann die Kreditzinsen stiegen, brach die Zahl der Hauskäufer schlagartig ein und die Blase platzte – die Leerstände häuften sich, die Preise begannen zu fallen und immer mehr Kreditnehmer konnten ihre Schulden nicht termingerecht zurückzahlen.
2007: Die weltweite Bankenkrise
Die Kreditausfälle infolge der Hypothekenkrise belasteten allerdings nicht nur jene, die die Kredite vergeben hatten, also vor allem die US-amerikanischen Hypothekenbanken. Betroffen waren überraschenderweise Banken, Fonds und Versicherungen in nahezu allen Ländern der Welt. Denn von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hatte der Finanzsektor im Laufe der Jahre verschiedene Instrumente entwickelt, mit denen die Kreditrisiken quasi ausgelagert werden: Die einzelnen Kredite werden zu Paketen gebündelt und die darauf beruhenden Anleihen in alle Welt verkauft. Aus ganz normalen (Hypotheken-)Krediten waren also handelbare Wertpapiere geworden, die in kürzester Zeit zum „Star“ auf dem Anleihemarkt wurden.
Heute weiß man: Diese Kreditpakete waren und sind so kompliziert, dass irgendwann niemand mehr sagen konnte, welche Risiken sie wirklich beinhalten – offenbar nicht einmal jene, die sie entworfen haben. Folglich traf das Platzen der Blase nahezu alle Beteiligten weitgehend unvorbereitet und überraschend. Weltweit mussten Banken Millionen und Milliarden abschreiben – in Deutschland waren besonders die Mittelstandsbank IKB sowie verschiedene Landesbanken betroffen. Sie konnten letztlich nur mit Steuergeldern vor dem Zusammenbruch gerettet werden.
2008: Die Lehman-Pleite
Weitere US-Investmentbanken, Hypothekenfinanzierer und der Versicherungskonzern AIG gerieten in existenzbedrohende finanzielle Schwierigkeiten. Es traf schließlich Lehman Brothers: Die New Yorker Investmentbank musste im September Insolvenz anmelden. In der Folge liehen sich die Banken untereinander kaum noch Geld, weltweit strauchelten immer mehr Finanzhäuser. Im Herbst beschlossen nahezu sämtliche Industrieländer, allen voran die USA, Milliardenhilfen zur Rettung des Bankensystems einzusetzen. Deutschlands Banken-Rettungspaket hatte ein Volumen von 480 Milliarden Euro (Obergrenze für Hilfen in Form von Beteiligungskapital und Kreditbürgschaften).
2009: Globale Wirtschaftskrise
Ende des Jahres 2008 war klar: Die Finanzierungsprobleme der Banken schwappen auf die reale Wirtschaft über. Die Auftragslage der Unternehmen rund um den Globus war dünn und die Produktion brach ein. Besonders hart traf es die Automobilindustrie. Weltweit verloren Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz.
Deutschland kam dank Kurzarbeit noch relativ glimpflich davon. Schon zum Jahreswechsel 2008/2009 hatte die Bundesregierung kurz nacheinander zwei Konjunkturpakete in Höhe von insgesamt 100 Milliarden Euro aufgelegt, mit denen die Wirtschaft gestützt werden sollte. Beinahe alle europäischen Regierungen beschlossen ähnliche Hilfen zur Stützung der Konjunktur. Zudem wurden vor allem über den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank insgesamt 1,1 Billionen Euro bereitgestellt, um in Not geratenen Staaten mit Krediten zu helfen und Exportgeschäfte abzusichern.
Die Zahl der Firmeninsolvenzen stieg in ganz Europa sprunghaft an: Rund 185.000 Betriebe gingen pleite – gut ein Fünftel mehr als im Jahr davor. Auch in Deutschland wurde eine ganze Reihe von Traditionsunternehmen zahlungsunfähig, darunter Karstadt, Quelle und Woolworth. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der gesamten EU brach 2009 um 4,2 Prozent ein, das BIP der Euro-Länder um 4,1 Prozent und das deutsche sogar um 4,7 Prozent – eine schärfere Wirtschaftskrise hat die Europäische Union noch nie erlebt.
2010: Griechenland und die Euro-Schuldenkrise
Im Frühjahr erklärt Griechenland, es könne seinen Zahlungsverpflichtungen ohne Hilfe der EU nicht mehr nachkommen. Im Spätherbst erwischt es Irland, das mit den Milliardengarantien zur Rettung seiner Banken schließlich überfordert ist. Nach Schätzung der EU-Kommission werden die Mitgliedsländer 2010 neue Schulden von rund 870 Milliarden Euro anhäufen. Viele Staaten bringen daher Sparprogramme auf den Weg – in Brüssel und vielen anderen Städten, von Lissabon über Paris bis Riga, demonstrieren die Bürger dagegen.
2011: Die Schuldenkrise eskaliert
Jetzt geraten erst Portugal und später Spanien und Italien in Schwierigkeiten. Der Druck von den Finanzmärkten – in Form steigender Risikoaufschläge für Staatsanleihen – wird so groß, dass die EZB italienische und spanische Staatsanleihen aufkauft, um deren Kurs zu stützen. Hintergrund: Die beschlossenen Rettungsschirme der Euro-Länder würden nicht ausreichen, um auch so große Volkswirtschaften wie Italien und Spanien aufzufangen. Auf dem Brüsseler Krisengipfel im September beschließen die Euro-Länder eine Umschuldung in Form eines 50-prozentigen Schuldenschnitts für Griechenland. Außerdem soll der Rettungsschirm EFSF auf rund 1 Billion Euro „gehebelt“ werden. Auf einem weiteren Gipfel wird beschlossen, dass 17 Euro-Ländern sowie sechs weiteren EU-Staaten bis März 2012 einen separaten Vertrag aushandeln, der durch nationale Schuldenbremsen und automatische Sanktionen gegen Defizitsünder solides Haushalten gewährleistet – den sogenannten Fiskalpakt. Außerdem soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der ursprünglich Mitte 2013 den Rettungsfonds EFSF ablösen sollte, auf Mitte 2012 vorgezogen werden.
2012: Immer neue Probleme
Auch im Jahr drei der Schuldenkrise ist keine Besserung in Sicht. Ganz im Gegenteil: Anfang 2012 beträgt die Arbeitslosenquote in Griechenland mehr als 22 Prozent – doppelt so viel wie zwei Jahre zuvor. Um die zugesagten Hilfskredite der Euro-Länder zu bekommen, muss die Regierung in Athen das inzwischen dritte Sparprogramm beschließen – und verschärft damit den Unmut in der Bevölkerung.
Im Februar demonstrieren Zehntausende Griechen – auch gewalttätig – gegen die Reformen, die im Wesentlichen daraus bestehen, dass Sozialleistungen, Löhne und Renten gekürzt und Steuern erhöht werden. Und das nicht zu knapp: Zwar wird Griechenland von manchen Medien und auch Politikern gern als reformunwillig hingestellt, tatsächlich aber haben die Griechen seit 2010 Einsparungen und Steuererhöhungen in Höhe von 20 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung vorgenommen – das ist laut einer Studie der Zentralbank von Irland das umfangreichste Sparprogramm in der EU-Geschichte.
Doch es hilft nichts: Die Rezession in Griechenland geht nun bereits ins fünfte Jahr – mit Sparen allein kann das Land die Krise nicht meistern. Deshalb beschließen die Euro-Länder im März einen Schuldenschnitt von 53,5 Prozent: Private Investoren – also vor allem Banken, Versicherungen und Hedgefonds, aber auch Kleinanleger – sollen demnach auf gut 100 Milliarden Euro ihrer Forderungen verzichten. Der Schuldenschnitt ist Teil eines neuen Rettungspakets, das außerdem noch 100 Milliarden Euro an zinsgünstigen Krediten durch die Euro-Länder und die EU-Kommission umfasst. Zudem werden die Zinsen für die Hilfskredite aus dem ersten Rettungspaket 2010 halbiert.
Anfang Mai gibt die griechische Bevölkerung ihrem Ärger über die Sparmaßnahmen bei den Parlamentswahlen Ausdruck – die beiden Traditionsparteien Nea Dimokratia und Pasok verlieren dramatisch, das Euro-skeptische Linksbündnis Syriza ist der Wahlgewinner. Weil aber keine Partei eine Regierung bilden kann, werden für Juni Neuwahlen angesetzt. Diese werden im Vorfeld zu einer Art Volksabstimmung über den Verbleib der Griechen im Euro hochstilisiert. Aus der Wahl geht die Nea Dimokratia als Sieger hervor. Neuer Regierungschef wird Antonis Samaras, der von der Pasok und der demokratischen Linken Dimar unterstützt wird.
Im Sommer 2012 eskaliert die Krise zudem in Spanien. Das Land steckt in einer tiefen Rezession, die Arbeitslosigkeit erreichte im zweiten Quartal mit fast 25 Prozent den höchsten Wert seit 36 Jahren, und die Zinsen für spanische Staatsanleihen steigen und steigen. Das Misstrauen der Investoren und Anleger basiert allerdings nicht – wie im Fall von Griechenland – auf einer exorbitanten Staatsverschuldung, denn gemessen am Bruttoinlandsprodukt hat Spanien sogar weniger Schulden als Deutschland. Das Problem sind vielmehr die spanischen Banken. Sie haben jahrelang einen völlig überdimensionierten Bauboom finanziert und sitzen nach dem Platzen der Immobilienblase auf faulen Krediten in Milliardenhöhe. Im Juli einigten sich die Euro-Länder deshalb auf ein 100-Milliarden-Hilfspaket für Spaniens Banken – bislang ist allerdings noch kein Geld geflossen.
Inzwischen – wir schreiben August 2012 – warnen immer mehr Politiker und Ökonomen vor einem Zerfall der Euro-Zone (siehe auch Pro & Contra „Die Euro-Rettung – Alle streiten über den richtigen Weg“). Auch wenn es öffentlich keiner zugeben will oder darf – hinter den Kulissen wird laut Medienberichten längst darüber diskutiert, ob Griechenland aus der Euro-Zone ausscheiden muss – und wie die anderen Krisenstaaten, allen voran Spanien und Italien, vor dem gleichen Schicksal bewahrt werden können.
Weil im Jahr drei der Schuldenkrise noch immer keine nachhaltige Lösung gefunden worden ist, werden mittlerweile auch drei Strategien diskutiert, von denen streng genommen – also juristisch – keine einzige angewendet werden dürfte:
Euro-Bonds (siehe auch „Häufig gestellte Fragen zur Euro-Schuldenkrise“), also gemeinsame Staatsanleihen aller Eurostaaten, hätten gegenüber den Anleihen der einzelnen Krisenstaaten den Vorteil, dass sie wesentlich niedriger verzinst werden müssten. Außerdem würden die Euro-Staaten den Finanzmärkten damit signalisieren, dass sie zusammenstehen. Euro-Bonds werden aber von den meisten Ökonomen und insbesondere von der deutschen Bundesregierung abgelehnt. Die Argumente: Mit den gemeinsamen Anleihen werden die Schulden vergemeinschaftet, – was laut EU-Verträgen ausdrücklich verboten ist – ohne dass die mithaftenden Länder auf die Haushaltspolitik Einfluss nehmen können. Zudem verstärkten gemeinsame Schulden sogar den Anreiz, immer neue Schulden zu machen.
Der ESM, also der dauerhafte Rettungsschirm, der ab Herbst 2012 den EFSF ablösen soll („Von der Griechenland-Hilfe zum ESM“), könnte mit einer sogenannten Banklizenz ausgestattet werden. Damit könnte er sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) wie eine Geschäftsbank praktisch unbegrenzt Kredit verschaffen, indem er zunächst die Staatsanleihen der betroffenen Länder kauft, die Anleihen dann als Sicherheit bei der EZB hinterlegt, um noch mehr Anleihen zu kaufen – und auf diesem Weg die hohen Zinsen senkt, die die Krisenstaaten auf dem Markt für ihre Staatsanleihen bieten müssen.
Das Problem dieser Variante ist, dass damit die mögliche Haftung für die Geber-Länder – insbesondere also für Deutschland – quasi ins Unermessliche steigen kann. Zudem beteiligt sich die EZB so indirekt an der Finanzierung von Staaten – was ihr nach ihren eigenen Statuten verboten ist.
Die EZB könnte in der Schuldenkrise das sein, was Ökonomen „Lender of last resort“ nennen, das heißt: Wenn alle anderen – Institutionen, Staaten, Investoren – ausfallen, ist die Notenbank der „Kreditgeber der letzten Instanz“. Mit anderen Worten: Die EZB könnte ihre Schleusen öffnen und den Markt mit Geld fluten, indem sie die Staatsanleihen der Krisenländer aufkauft, um so die Zinsen zu drücken. Diese Art der Staatsfinanzierung ist in den USA gang und gäbe, der Europäischen Zentralbank aber nach eigner Satzung verboten. Gleichwohl, sagen Ökonomen, wäre dies die einzige wenigstens halbwegs saubere Lösung. So könnte die EZB zum Beispiel für jedes Land eine Zinsobergrenze festlegen, etwa 5 oder 6 Prozent. Sobald die Zinsen darüber steigen, würde die Notenbank eingreifen und Anleihen des betroffenen Landes kaufen, was in aller Regel dazu führt, dass die Zinsen wieder sinken. Weil nach einem bekannten Bonmot „die Hälfte der Wirtschaft/Börse Psychologie ist“, erhofft man sich, dass die EZB letztlich gar nicht eingreifen muss – sondern dass allein die Ankündigung ausreicht und die Märkte beruhigt.
2013: Trügerische Ruhe
Schaut man durch die deutsche Brille, dann war das vierte Jahr der Euro-Schuldenkrise auffällig ruhig. Zwar wurde im Frühjahr 2013 noch hitzig darüber diskutiert, dass in Zypern erstmals auch die Bankkunden an den Rettungskosten beteiligt werden sollten. Nachdem Kleinsparer mit Guthaben bis zu 100.000 Euro dann aber doch verschont worden waren (mehr zu Zypern), spielte die Krise in der Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle. Der Grund dafür war vor allem die Bundestagswahl im September: Im Wahlkampf war das Thema praktisch tabu –keine der etablierten Partei hat der Schuldenkrise mehr als die allernötigste Aufmerksamkeit geschenkt.
Vordergründig gab es auch wenig Anlass dazu: Außer für Zypern mussten die Euro-Länder keine weiteren Hilfspakte schnüren, die Finanzmärkte fassten im Laufe des Jahres so langsam wieder Vertrauen, sprich sie senkten für den einen oder anderen Krisenstaat die Zinsen, und mit Irland kündigte sogar das erste der sechs Krisenländer an, den Rettungsschirm Ende des Jahres verlassen zu können – was dann auch tatsächlich geschah: Nachdem Irland drei Jahre lang den Rettungsschirm ESM und Hilfen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) in Anspruch genommen hatte, verzichtete die Regierung in Dublin am 15. Dezember auf weitere Kreditlinien. Irland hat also seine Souveränität zurück und kann sich an den Finanzmärkten wieder selbstständig verschulden. Gleiches gilt für Spanien: Um seine maroden Banken zu retten, hatte das Land seit Frühjahr 2012 gut 41 Milliarden Euro aus dem ESM abgerufen, künftig, erklärte ESM-Chef Klaus Regling am 31. Dezember in Brüssel, werde Spanien keine zusätzlichen Hilfsprogramme beantragen.
Trotz dieser Erfolge – vom Abebben oder gar vom Ende der Schuldenkrise kann keine Rede sein. Denn ob Irland und Spanien oder Griechenland, Portugal, Italien und Zypern: In allen sechs Krisenländern ist die Staatsverschuldung im vergangenen Jahr noch weiter gestiegen – in Griechenland sogar um fast 20 Prozentpunkte auf 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und in Zypern gar um 30 Punkte auf 116 Prozent. Deshalb sind für das größte Sorgenkind, Griechenland, längst ein weiteres Hilfspaket und ein zweiter Schuldenschnitt im Gespräch.
Dass die Euro-Zone noch lange nicht über dem Berg ist, ist vor allem an der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) abzulesen. Im Mai 2013 senkte die EZB die Zinsen auf historisch niedrige 0,5 Prozent und legte dann im November noch einmal nach, indem sie den Zins auf 0,25 Prozent herunterschraubte. Das Ziel der europäischen Währungshüter war und ist es, mit billigem Geld die Kreditvergabe in den südeuropäischen Krisenstaaten – und damit deren Wirtschaft – anzukurbeln. Tatsächlich aber geschah das Gegenteil: Die Banken in den betroffenen Ländern gewährten immer weniger Kredite an die Unternehmen und die privaten Haushalte. Von der angestrebten Belebung der Wirtschaft war 2013 ebenfalls nichts zu sehen: Außer Irland, das ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent erreichte, schrieben alle anderen Krisenstaaten rote Zahlen, Griechenland sogar das sechste Jahr in Folge.
Das allein ist schlimm genug, hinzu kommt aber noch, dass die Niedrigzinspolitik all jene Menschen bestraft, die genau das machen, was die meisten Regierungen dieser Welt nicht tun: sparen. Denn der extrem niedrige Leitzins der EZB sorgt dafür, dass die Zinsen für Sparguthaben oder Tagesgeld nicht einmal die Inflation ausgleichen. Mit anderen Worten: Die Sparer werden quasi enteignet. Und nicht nur das: Zu den unerwünschten Nebenwirkungen der niedrig gehaltenen Zinsen gehört unter anderem auch, dass sie den Reformdruck auf die Schuldenstaaten mindern, dass sie Spekulationen fördern, dass sie die Immobilienpreise in Ballungszentren anheizen und dass sie es den Versicherern praktisch unmöglich machen, für ihre Kunden noch eine halbwegs akzeptable Rendite zu erwirtschaften, so dass deren Altersvorsorge dahinschmilzt. All diese Gefahren werden nicht etwa von Weltuntergangspropheten heraufbeschworen, sondern von der Deutschen Bundesbank. Deren Vorstandsmitglied Andreas Dombret sagte im November 2013 im „Handelsblatt“: „Das Niedrigzinsumfeld wird mehr und mehr zu einer Belastung für das deutsche Finanzsystem.“
Apropos Finanzsystem: Damit sich marode Banken künftig nicht mehr – wie zum Beispiel in Spanien – ganze Staaten an den Rand des finanziellen Abgrunds bringen, haben die EU-Finanzminister im Juni und Dezember 2013 den sogenannten Abwicklungsmechanismus SRM (Single Resolution Mechanism) ins Leben gerufen. Er soll von 2016 an dafür sorgen, dass insolvente Banken nach ganz bestimmten Regeln abgewickelt werden, und er ist die zweite von drei Säulen der geplanten – und in Deutschland umstrittenen - europäischen Bankenunion (Von der Haftungskaskade zur Bankenunion).
Dass das Jahr 2013 für den Euro-Raum weit turbulenter war, als es der Blick durch die deutsche Brille suggeriert, zeigt sich vor allem auf der politischen Bühne. Ob Holland, Belgien, Frankreich, Österreich, Italien, Griechenland oder Deutschland – quer durch Europa sind offen anti-europäische oder populistische Parteien im Aufwind, und es wird befürchtet, dass ihr Einfluss bei den Europawahlen im Mai 2014 deutlich zunimmt. Zwar rechnet niemand damit, dass sie die pro-europäischen Parteien - und damit die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament – gefährden können. Die Frage ist vielmehr, „ob die etablierten politischen Gruppen und Parteien die von populistischen Kräften formulierten Analysen und Empfehlungen annehmen werden. Diese Unsicherheit stellt die größte politische Bedrohung für die EU als Ganzes dar“, warnen zum Beispiel Yves Bertoncini und Valentin Kreilinger auf dem EUROPP-Blog der London School of Economics.
Zum Abschluss des Jahres gab es dann aber immerhin eine Nachricht, die zeigt, dass der Euro Zukunft hat: Ab dem 1. Januar 2014 zahlen auch die Letten mit dem Euro – sie sind das 18. Mitglied der Währungsunion.
2014: Es läuft wieder besser
Verglichen mit den bisherigen Krisenjahren war 2014 ein ausgesprochen gutes Jahr. Es fing damit an, dass Spanien im Januar den Rettungsschirm verließ, weil sich das Land wieder selbst auf den Kapitalmärkten finanzieren konnte – im April fiel dann die Rendite auf spanische Staatsanleihen auf das Rekordtief von etwas über 3 Prozent und die Regierung konnte insgesamt fast 5,6 Milliarden Euro zu diesem Zinssatz aufnehmen. Spanien war bereits das zweite Krisenland, das ohne weitere europäische Finanzhilfen auskam. Als erstes hatte Irland im Dezember 2013 den Rettungsschirm verlassen – und im Mai 2014 folgte mit Portugal die Nummer drei.
Überhaupt sollte es 2014 in der Eurozone konjunkturell wieder besser laufen – wenn auch nicht gut. Die EU-Kommission prognostizierte im Frühjahr immerhin ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent fürs nächste Jahr und leicht sinkende Arbeitslosenzahlen in beiden Jahren.
Im April verabschiedet das EU-Parlament mit großer Mehrheit einheitliche Regeln zur Abwicklung und Sanierung von Banken und macht damit – nach rund fünf Jahren Verhandlungen – die sogenannte Bankenunion perfekt, mit der künftig Finanzkrisen wie die von 2008/2009 vermieden werden sollen und die als größtes europäisches Integrationsprojekt seit der Einführung des Euro gilt. Teil dieser Bankenunion ist, dass die Europäische Zentralbank die Aufsicht über die rund 120 größten europäischen Banken übernimmt, also als eine Art Banken-TÜV fungiert, der im Zweifelsfall auch eine marode Bank aus dem Verkehr ziehen kann.
Selbst für das größte Sorgenkind der Eurozone, Griechenland, war 2014 ein recht gutes Jahr – zumindest verglichen mit der langen Leidenszeit vorher. Nach sechs Jahren Rezession konnte die damals noch konservative Regierung unter Ministerpräsident Antonis Samaras im Oktober immerhin ankündigen, das Bruttoinlandsprodukt werde im laufenden Jahr voraussichtlich um 0,6 Prozent und 2015 sogar um 2,9 Prozent zulegen – eine Prognose, die sowohl von der EU als auch vom Internationalen Währungsfonds geteilt wurde. Die Regierungskoalition nahm die anziehende Wirtschaft auch zum Anlass, bei Griechenlands Gläubigern eine Lockerung des strikten Sparkurses ins Gespräch zu bringen – nicht zuletzt auch, weil die damalige Oppositionspartei Syriza die aufgebrachte Stimmung im Volk gegen die sogenannte Austeritätspolitik zu nutzen wusste und sich bei landesweiten Umfragen schon als stärkste politische Partei herausstellte.
Dass Syriza dann nur drei Monate später zusammen mit der rechtspopulistischen Partei „Unabhängige Griechen“ (ANEL) tatsächlich die neue Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras stellt, hatte allerdings einen ganz anderen Grund: Bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2014 konnte sich der Kandidat der Regierung, Stavros Dimas, auch nach drei Wahlgängen nicht durchsetzen – und für diesen Fall schreibt die griechische Verfassung Neuwahlen vor.