Tarifkonflikte auf die Spitze getrieben

Unternehmen und Markt

Sekundarstufe II

Hintergrundtext
23.02.2024
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Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ging es in Deutschland im vergangenen Jahr so ruppig zu wie seit Langem nicht mehr. Die Tarifverhandlungen waren und sind in vielen Branchen von langwierigen Konflikten geprägt. Für 2024 erwartet das IW ebenfalls intensive Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen und Lohn.

Wenn die Lokführer streiken, merken das alle. Auch Arbeitskämpfe in der Luftfahrt oder rund um die Kinderbetreuung bringen den Alltag vieler Menschen durcheinander. Tarifverhandlungen in anderen Branchen laufen dagegen oft fern der breiten Öffentlichkeit ab. Dementsprechend kann das individuelle „Streikgefühl“ durchaus von der Realität abweichen.

Um einen Überblick über die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zu schaffen, erhebt das Institut der deutschen Wirtschaft bereits seit dem Jahr 2010 die Konfliktintensität in Tarifverhandlungen. Dabei messen die Forscher auf einer Skala von 0 bis 7, wie stark der jeweilige Tarifkonflikt eskaliert ist. Dabei steht die 0 für Tarifverhandlungen, 7 für Streiks und Aussperrung. Das IW konnte seine Stichprobe zuletzt erweitern, sodass nun Aussagen über 20 Branchen gemacht werden können.

Aus diesen flossen im Jahr 2023 23 Tarifverhandlungen in die Statistik ein. Das Ergebnis (Grafik):

Noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 2010 waren die Tarifverhandlungen in Deutschland im Schnitt so konfliktreich wie im vergangenen Jahr – der Index stieg auf 15 Konfliktpunkte.

Wie stark der Ausschlag nach oben ist, zeigt der Blick auf die einzelnen Jahreswerte: Nur einmal – im Jahr 2015 – lag der Durchschnitt der Konfliktintensität über der Marke von zehn Punkten.

Besonders schwierig gestalteten sich zuletzt die Auseinandersetzungen um neue Tarifverträge im Handel (Grafik):

Im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel summierten sich die Konfliktpunkte im vergangenen Jahr auf 60 beziehungsweise 59. Eine Einigung zwischen der Gewerkschaft ver.di und den Arbeitgebern ist dabei weiterhin nicht in Sicht.

Tarifkonflikte auf die Spitze getrieben III

Ebenso über den Jahreswechsel hinaus stritten die Lokführergewerkschaft GdL und die Deutsche Bahn um einen neuen Tarifvertrag. Im Jahr 2023 beliefen sich die Konfliktpunkte hier auf 26 (Platz sechs). Die langen Streiks zu Beginn des Jahres und die nicht absehbare Einigung werden diesen Wert noch deutlich in die Höhe treiben.

Am Beispiel der Auseinandersetzungen bei der Deutschen Bahn lässt sich zudem ein neuer Trend in der Tarifpolitik beleuchten – der „Konflikt ohne Partnerschaft“. In der Regel suchten Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Vergangenheit trotz teils hitziger Auseinandersetzungen stets den Kompromiss – in der Fachsprache heißt das Konfliktpartnerschaft. Allerdings drohen nun immer mehr Arbeitnehmervertreter die gleiche Strategie zu verfolgen wie die GdL. Statt auf Verhandlungen und Entgegenkommen zu setzen, wird eine „Alles-oder-nichts“-Haltung praktiziert.

Das Jahr 2024 dürfte dem IW zufolge deshalb ähnlich konfliktreich verlaufen wie 2023.

Das liegt zum einen an den noch offenen und absehbar ungelösten Tarifstreits im Handel und bei der Deutschen Bahn. Zum anderen steigen in diesem Jahr weitere große Branchen in die Tarifverhandlungen ein: ver.di verhandelt mit den privaten und öffentlichen Banken und bei der Deutschen Telekom AG; in der Metall- und Elektro-Industrie startet ebenfalls eine große Tarifrunde und auch in der Chemieindustrie läuft der geltende Tarifvertrag aus.

Arbeitgeber in der Zwickmühle

Da zu Verhandlungen immer zwei Parteien gehören, hängt es natürlich auch von der Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber ab, wie konfliktreich die nächsten Monate verlaufen. Sie befinden sich dabei in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite stehen sie durch die Rezession finanziell unter Druck, auf der anderen Seite müssen sie aufgrund des Fachkräftemangels den Beschäftigten attraktive Gehälter und Arbeitsbedingungen bieten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de