Bahnstrecken über der Kapazitätsgrenze
Staat und Wirtschaftspolitik
Sekundarstufe I + II
Immer mehr Menschen in Deutschland fahren Bahn. Die Sanierung und der Ausbau des Schienennetzes hinken dem wachsenden Bedarf aber hinterher. Damit das Netz die steigenden Passagierzahlen und Transportmengen bewältigen kann, müssen die Investitionen weiter kräftig steigen.
In Deutschland ist Bahnfahren nicht gleich Bahnfahren: Während es Regionen gibt, in denen der Zugverkehr mehr oder weniger reibungslos läuft, jagt auf anderen Strecken ein Zug den anderen, sodass Verspätungen auf jeden Fall wahrscheinlich, teils nahezu unvermeidbar sind. Die hier entstehenden Störungen wirken sich auch auf andere Regionen aus, da sie durch Verspätungen und Ausfälle auch deren Verkehrsablauf verzögern.
Durch den S-Bahntunnel München zum Beispiel fuhren 2022 täglich 473 Züge – pro Richtung. Alle anderthalb Minuten – die nächtlichen Fahrpausen der Linien einberechnet – fährt hier eine S-Bahn durch die Röhre. Auch andere Strecken im Land ächzen unter hoher Auslastung.
Der Grund für die Situation auf der Schiene ist recht simpel: Die Bahn hat seit dem Jahr 2004 erheblich mehr Züge auf die Schiene gebracht und im Wettbewerb mit Straßen und Wasserwegen sogar Marktanteile gewonnen. Haupttreiber war der gestiegene Personennahverkehr. Die Entwicklung in Zahlen (Grafik):
Von 1992 bis 2022 ist die Verkehrsleistung im Schienenverkehr um gut 75 Prozent gestiegen.
Gleichzeitig ist das Netz von 40.800 auf 33.470 Kilometer geschrumpft. Zwar wurden vor allem wenig befahrene Strecken in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands stillgelegt und der große Abbau endete bereits 2005. Allerdings fehlt bislang der Ausbau der meistgenutzten Streckenabschnitte.
Welche Verbindungen besonders beansprucht sind, erfasst das Eisenbahn-Bundesamt jährlich. Es unterscheidet zwischen vier Stufen der Streckenauslastung jenseits der 100 Prozent. Die höchste Stufe betrifft komplett überlastete Strecken –wie die Bahn diese genau definiert, ist nicht klar:
Im Jahr 2022 galten in Deutschland 23 Streckenabschnitte im Schienenverkehr als komplett überlastet.
Einige dieser Teilstücke strahlen nur auf ihre Region aus, andere haben massive Auswirkungen auf den Fernverkehr im gesamten Land. Die meisten solcher überlasteten Abschnitte hat Nordrhein-Westfalen mit sechs, darunter die Rhein-Ruhr-Achse. In und um Berlin finden sich fünf der überlasteten Strecken. Ebenfalls große Probleme bereiten Verbindungen um Würzburg, Frankfurt am Main und Mannheim sowie die vom Güterverkehr stark genutzte Strecke von Offenburg in Baden-Württemberg in die Schweiz. Viele der wichtigsten Gütertrassen fallen damit in diese Kategorie.
Inzwischen steigen die jährlichen Investitionen in das Schienennetz deutlich an, seit 2015 haben sich die entsprechenden Haushaltsmittel des Bundes mehr als verdoppelt (Grafik):
Im Jahr 2022 wurden 7,1 Milliarden Euro in das Schienennetz investiert. Davon flossen rund drei Viertel in den Erhalt und ein Viertel in den Neubau von Schienen. Im laufenden Jahr sind für das Netz sogar fast 9,3 Milliarden Euro im Bundeshaushalt veranschlagt.
Die Ausgaben sollen und müssen allerdings weiter steigen. Schließlich will die Bahn 40 wichtige Streckenabschnitte bis zum Jahr 2030 generalsanieren. Bis 2027 – so weit geht die bisherige Finanzplanung –wird vom Bund ein Gesamtinvestitionsbedarf von 88 Milliarden Euro veranschlagt. Inwiefern dieser Wert realistisch ist, ist allerdings umstritten. Denn entsprechende Schätzungen müssen gleich mehrere problematische Entwicklungen berücksichtigen, etwa bei den Preisen:
Die Kosten für den Verkehrswegebau sind von 2015 bis heute um nahezu 64 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Die kumulierte Inflation lag im selben Zeitraum bei 24 Prozent.
Wenn die finanziellen Mittel im Bundeshaushalt also lediglich fortgeschrieben und nicht an die Entwicklung der Preise für den Schienenbau gekoppelt werden, wird die Investitionssumme in den kommenden Jahren in realen Größen sinken.
Ebenfalls kritisch ist der Fachkräftemangel. Denn es ist fraglich, ob alle Projekte in den kommenden Jahren wie geplant umgesetzt werden können, wenn entsprechend qualifiziertes Personal fehlt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de