Braucht Deutschland ein strengeres Lieferkettengesetz?

Staat und Wirtschaftspolitik

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
28.04.2021
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Anfang März hat das Bundeskabinett den Entwurf für ein Lieferkettengesetz verabschiedet, mit dem in Deutschland ansässige Unternehmen verpflichtet werden, sich selbst und ihre Direktlieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards hin zu prüfen. Nationale Alleingänge wie dieser sind ein Problem, deshalb ist es gut, dass sich auch die EU der Sache annimmt – allerdings muss Brüssel darauf achten, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten.

Das Lieferkettengesetz zielt auf jene externen Effekte, die sich aus der potenziellen Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften in Ländern ergeben, die es mit sozialen und ökologischen Mindeststandards nicht immer so genau nehmen. Stimmen Bundestag und Bundesrat dem Gesetz zu, werden Unternehmen in Deutschland ab dem Jahr 2023 sich selbst und ihre direkten Lieferanten auf die Einhaltung dieser Mindeststandards überprüfen müssen – verstoßen sie dagegen, drohen Bußgelder. Eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen ist allerdings nicht vorgesehen. Bei mittelbaren Zulieferern sollen Unternehmen lediglich im Verdachtsfall aktiv werden.

Zunächst gilt das Gesetz für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitern, ab 2024 liegt die Grenze bei 1.000 Beschäftigten.

Die EU-Kommission plant parallel dazu ein Gesetz. Das EU-Parlament macht Druck, indem es kürzlich einen konkreten Gesetzestext vorgeschlagen hat, der weit über die deutschen Regelungen hinausgeht:

Die Sorgfaltspflicht der Unternehmen soll auf EU-Ebene für die gesamte Lieferkette gelten. Das deutsche Lieferkettengesetz sieht das grundsätzlich ähnlich, beschränkt die unmittelbare Sorgfaltspflicht aber auf die direkten Zulieferer.

Der Fokus in Deutschland liegt auf der Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen, auf EU-Ebene sollen auch Umweltstandards und eine gute Regierungsführung explizit berücksichtigt werden.

Die Vorschriften sollen in der EU nicht – wie in Deutschland – nur für große Unternehmen gelten, sondern auch für börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen bis 249 Mitarbeiter sowie für solche, die in noch festzulegenden Hochrisikobranchen tätig sind.

Die Unternehmen stehen zur Nachhaltigkeit

Das Hauptargument für eine strengere gesetzliche Lösung ist laut EU-Kommission, dass sich freiwillige Maßnahmen als unzureichend erwiesen hätten. Doch eine Umfrage im IW-Zukunftspanel 2020 zeigt, dass die Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette längst sehr ernst nehmen (Grafik):

Rund zwei Drittel der Unternehmen des Produzierenden Gewerbes in Deutschland messen der Nachhaltigkeit in der Lieferkette eine sehr hohe oder eher hohe Bedeutung bei.

 

Bei großen und international tätigen Unternehmen ist der Anteil sogar noch höher.

Zudem hat die EU bereits eine Reihe an verbindlichen Sorgfaltspflichten erlassen. Dazu zählen die Verordnung über Konfliktmaterialien, die sicherstellen soll, dass zum Beispiel Zinn, Wolfram, Tantal und Gold aus verantwortungsvollen und konfliktarmen Quellen bezogen werden, sowie die Holzhandelsverordnung, die den Handel mit illegalem Einschlag unterbindet.

Doch trotz aller gesetzlichen Regelungen: Die internationalen Lieferketten sind heute so komplex, dass eine lückenlose Überwachung nahezu unmöglich ist. Das gilt insbesondere für Deutschland, das wie kein anderes großes Industrieland in den internationalen Handel integriert ist:

Das gesamte deutsche Handelsvolumen belief sich 2019 auf 89 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rund vier Fünftel entfallen dabei auf den Warenhandel.

Die internationale Arbeitsteilung hat erhebliche Vorteile für die beteiligten Länder – auch und gerade für Entwicklungs- und Schwellenländer. In Tunesien zum Beispiel entstehen mehr als 15 Prozent der Wertschöpfung durch die Nachfrage aus der EU, in Kasachstan und Marokko sind es jeweils über 10 Prozent.

In vielen dieser Entwicklungs- und Schwellenländer liegen die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften jedoch im Argen (Grafik):

Russland zum Beispiel liegt im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Platz 129 von 180 Ländern – genau 120 Plätze hinter Deutschland.

Die Folgen von zu strengen Regeln

Werden nun die Unternehmen aus der EU verpflichtet, ihre gesamte Lieferkette auf den Prüfstand zu stellen, zu dokumentieren und gegebenenfalls nachzubessern, entstehen ihnen enorme administrative Kosten – eine Verbesserung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen vor Ort aber können sie dadurch sicherlich nicht erreichen.

Das Ergebnis wäre eine erhebliche Verschlechterung ihrer Wettbewerbsposition, die im Zweifelsfall auch zu einer Verdrängung durch Unternehmen aus anderen Ländern führen kann. Zu denken ist dabei vor allen an Investoren aus China, die sich weniger darum kümmern, wie es um die Rahmenbedingungen ihrer Handelspartner bestellt ist. Die zusätzliche Bürokratie würde also wie ein Handelshemmnis wirken und die Importe aus Entwicklungs- und Schwellenländern beeinträchtigen.

Und nicht nur das: Das Engagement westlicher Unternehmen ist auch mit einem verbesserten Zugang der Entwicklungs- und Schwellenländer zu modernen Technologien verbunden, unter anderem im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Zudem beeinflussen europäische Unternehmen die Produkt- und Produktionsstandards vieler Länder positiv, denn sie sind aufgrund der hohen Standards und dem in der EU geltenden Vorsichtsprinzip darauf angewiesen, ein Mindestmaß an Qualität bei aus Drittländern importierten Waren zu garantieren. All diese positiven Aspekte würde ein zu strenges Lieferkettengesetz zur Disposition stellen.

Die Situation ist also ziemlich vertrackt. Sicher ist, dass es sich bei den deutschen Regelungen um ein Handelshemmnis handelt, deshalb widerspricht der nationale Alleingang den Prinzipien des Binnenmarktes und ist der falsche Weg. Eine EU-weite Lösung ist besser, denn sie würde immerhin für weniger Wettbewerbsverzerrungen sorgen. Allerdings muss die EU die Komplexität der internationalen Lieferketten im Auge behalten und realistische Ziele anstreben.

Der Text erschien zuerst auf iwd.de.