Deutschland wächst dank Zuwanderer

Staat und Wirtschaftspolitik

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
26.09.2023
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Deutschland ist für viele Menschen aus dem Ausland attraktiv – sei es, weil sie hier Schutz, ein hohes Einkommen oder gute Ausbildungsmöglichkeiten suchen. Im vergangenen Jahr kamen besonders viele Zuwanderer in die Bundesrepublik. Um den demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt abzufedern, braucht es jedoch eine gezielte Erwerbs- und Bildungszuwanderung mit niedrigeren bürokratischen Hürden.

Es ist ein neuer Rekord: Annähernd 1,5 Millionen Menschen wanderten 2022 per saldo aus dem Ausland nach Deutschland ein – noch einmal deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2015, in dem rund 1,1 Millionen Menschen zuzogen.

Heute wie damals spielten Kriege eine entscheidende Rolle für die starken Wanderungsbewegungen. 2015 war es der Krieg in Syrien, der laut UN-Flüchtlingskommissariat seit 2011 mehr als 13 Millionen Syrer veranlasst hat, entweder innerhalb des eigenen Landes oder über die Landesgrenze hinweg zu fliehen. 2022 war es der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der bislang mehr als sechs Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer bewegt hat, Zuflucht in einem europäischen Staat zu suchen. Ein großer Teil davon kam nach Deutschland (Grafik):

Ukrainische Staatsbürger machten 2022 mit rund 960.000 Personen die größte Gruppe der Zuwanderer nach Deutschland aus.

Die weiteren 500.000 Ausländer, die im vergangenen Jahr aus anderen Staaten als der Ukraine ihren Weg nach Deutschland fanden, sind eine bunte Mischung: aus Geflüchteten, insbesondere aus Syrien und Afghanistan, sowie aus Menschen, die primär aus Erwerbsgründen umsiedelten. Letztere stammen zumeist aus den neuen EU-Mitglieds- und den Westbalkanländern sowie aus Indien.

Angesichts der demografischen Probleme Deutschlands ist Zuwanderung grundsätzlich erwünscht. So haben Migranten in den vergangenen Jahren einen nicht unerheblichen Beitrag zur Sicherung der Arbeitskräftebasis geleistet (Grafik):

Zwischen Ende 2017 und Ende 2022 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit von 3,6 Millionen um 1,5 auf 5,1 Millionen Beschäftigte erhöht.

Dieses Plus ist keineswegs nur auf einfache Helfertätigkeiten zurückzuführen: Viele dieser ausländischen Arbeitskräfte sind in Berufen tätig, die ein hohes Qualifikationsniveau voraussetzen.

Allerdings strömen nicht aus allen Staaten per se perfekt ausgebildete Menschen nach Deutschland. Ein kurzer Überblick zeigt, aus welchen Ländern derzeit welche Personengruppen kommen und wie gut sie sich auf dem hiesigen Arbeitsmarkt integrieren:

Im Februar 2023 gingen erst 16,5 Prozent der ukrainischen Staatsangehörigen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, was auch damit zusammenhängt, dass sehr viele Mütter mit Kindern aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland kommen. Rund 60 Prozent der erwerbsfähigen ukrainischen Flüchtlinge bezogen Anfang 2023 staatliche Transferleistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch. Damit steht die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten aus der Ukraine noch ganz am Anfang.

Im Jahr 2022 kamen auch überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aus anderen Ländern als der Ukraine nach Deutschland. Insgesamt wurden in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr 218.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, davon 141.000 aus nur acht Herkunftsländern: Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.

Viele syrische Flüchtlinge haben einen niedrigen Bildungsstand

Die Lage am deutschen Arbeitsmarkt hat sich für syrische Staatsangehörige – der im Jahr 2022 mit knapp 68.000 Migranten zweitgrößten Zuwanderergruppe – in den vergangenen Jahren zwar verbessert, ist aber immer noch ungünstig: Ihr Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter lag im Februar 2023 bei nur rund 32 Prozent; jeder Zweite von ihnen bezog Transferleistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch. Das liegt zu einem guten Teil am niedrigen Bildungsstand der Geflüchteten. So hatte fast ein Drittel (31 Prozent) der 2021 in Deutschland Asyl suchenden, erwachsenen syrischen Staatsangehörigen maximal eine Grundschule besucht.

Die Zuwanderer aus den neuen EU-Mitgliedsländern tragen entscheidend zur Linderung des heimischen Fachkräftemangels bei: Waren im März 2010 lediglich 267.000 Staatsangehörige eines neuen EU-Mitgliedsstaats in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, lag ihre Zahl mit rund 1,7 Millionen im März 2023 mehr als sechsmal so hoch. Zudem ist diese Personengruppe mit 7,8 Prozent nur selten auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Allerdings üben rund 46 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Zuwanderer aus Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Polen, der Slowakei, Tschechien, Estland, Lettland und Litauen hierzulande nur Helfertätigkeiten aus, für die kein berufsqualifizierender Abschluss nötig ist.

Die Zuwanderer aus den Westbalkanländern sind ein wenig besser qualifiziert: 60 Prozent derjenigen, die im November 2022 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland nachgingen, hatten Jobs, für die eine mindestens zweijährige Berufsausbildung notwendig ist. Somit besetzte diese Zuwanderergruppe 263.000 Stellen für Fachkräfte. Auch ihre Beschäftigungsquote insgesamt ist hoch: Im März 2023 lag sie bei rund 56 Prozent, der Anteil der Leistungsbezieher betrug knapp 11 Prozent.

Die Türkei war lange das mit weitem Abstand bedeutendste Herkunftsland von Zuwanderern in Deutschland. Während 2020 nur rund 20.000 Türken nach Deutschland kamen, waren es 2022 mit rund 49.000 mehr als doppelt so viele. Auch die Zahl der türkischen Asylantragsteller ist zuletzt stark gestiegen. Das Gleiche gilt für den Zuzug von Studenten mit türkischem Pass.

Die Zuwanderung aus Indien erfolgt in erster Linie aus Erwerbs- und Bildungsgründen. Der Großteil der Inder, die nach Deutschland kommen, ist hochqualifiziert – und hätte somit auch die Option, in ein angelsächsisches Land einzuwandern, in dem sie keine neue Sprache erlernen müssen. Die Qualifikationsstruktur sowie der Arbeitsmarkterfolg vieler Zuwanderer aus Ägypten, Indonesien und Kolumbien ist ähnlich.

Das Ziel: Gezielt Fachkräfte aus vielen Regionen anwerben

Aus ökonomischer Sicht sollte die Politik einige Zuwanderungsformen gezielt fördern – nämlich die Erwerbs- und Bildungszuwanderung aus Drittstaaten, wobei der Fokus auf Ländern liegen sollte, die nicht selbst ein Demografieproblem haben. Staaten mit einer wachsenden Bevölkerung sind beispielsweise Indien, Ägypten und die Türkei, wobei sich Deutschland nicht vollkommen abhängig machen sollte von wenigen einzelnen Ländern, sondern auch in anderen Weltregionen gezielt Fachkräfte anwerben sollte.

Wichtig dabei wäre es, neben Deutschlernangeboten in den Heimatländern und in Deutschland selbst gute rechtliche Zugangswege in die Bundesrepublik sowie einfache, schnelle und transparente Verfahren für die Vergabe von Visa und Aufenthaltstiteln zu entwickeln; denn derzeit stellen die langen Bearbeitungs- und Wartezeiten bei der Visavergabe noch ein substanzielles Hemmnis für die Zuwanderung von Fachkräften aus dem außereuropäischen Ausland dar.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de