Formen der Gerechtigkeit

Staat und Wirtschaftspolitik

Gymnasien, Realschule, Hauptschule | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
14.11.2013
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Heißt Gerechtigkeit nun, dass sich Leistung lohnen muss – oder heißt Gerechtigkeit, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu weit öffnen darf? Oder meinen wir vielleicht noch etwas ganz anderes, wenn wir von sozialer Gerechtigkeit sprechen?

Kaum ein Wort fiel im Bundestagswahlkampf 2013 so häufig wie „Gerechtigkeit“ – mit gewissen Unterschieden je nach Partei: Die Oppositionsparteien, die einen Machtwechsel anstrebten, unterstellten der Regierung eine falsche Politik und redeten deshalb besonders oft von (der vermeintlich fehlenden) Gerechtigkeit – die Grünen erwähnten sie in ihrem Wahlprogramm 65 Mal, die Linken 42 Mal und die SPD 39 Mal. Die ehemaligen Regierungsparteien dagegen hielten ihre Politik logischerweise für richtig und gerecht, also mussten sie die Gerechtigkeit nicht ganz so oft thematisieren – CDU/CSU reichten 6 Mal, der FDP 4 Mal.

Weshalb zwar alle Parteien für Gerechtigkeit eintreten, damit aber zum Teil völlig verschiedene politische Ideen verbinden, hängt damit zusammen, dass der Begriff soziale Gerechtigkeit mehrere Dimensionen umfasst.

  • Bedarfsgerechtigkeit herrscht, wenn die Grundbedürfnisse der Menschen gedeckt sind, also das soziokulturelle Existenzminimum. Der Gerechtigkeitsindex des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) berücksichtigt deshalb zum Beispiel den Umfang der staatlich finanzierten Gesundheitsvorsorge, staatlichen Leistungen für Familie und Kinder sowie verschiedene Armutsquoten.
     
  • Leistungsgerechtigkeit heißt: Jeder einzelne soll in dem Maß vom gesellschaftlichen Wohlstand profitieren, in dem er auch dazu beigetragen hat. Beurteilen lässt sich Leistungsgerechtigkeit zum Beispiel anhand der sogenannten Arbeitsarmut: Wie hoch ist der Anteil der „Working Poor“ – also jener Menschen, die trotz (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit nicht genug zum Leben verdienen – an allen Erwerbstätigen? Ebenfalls in den IW-Index eingeflossen sind unter anderem die Bildungsrendite und das Verhältnis der Lohnerhöhungen zum Anstieg der Arbeitsproduktivität.
     
  • Einkommens- oder Verteilungsgerechtigkeit zielt darauf ab, dass die Einkommen und Vermögen möglichst gleichmäßig verteilt sein sollen. Das klassische Maß dafür ist der Gini-Koeffizient. Weitere Indikatoren sind zum Beispiel die Frauenerwerbstätigkeit und die Nettolohnersatzrate, also die Relation von Arbeitslosenunterstützung zu vorherigem Nettoeinkommen.
     
  • Chancengerechtigkeit erfordert, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, ihre Lebenssituation durch eigene Anstrengung zu gestalten und zu verbessern. Sie sollen also ähnliche Ausgangsvoraussetzungen haben. Das IW misst die Chancengerechtigkeit beispielsweise anhand der staatlichen Bildungsinvestitionen, der frühkindlichen Bildung (Anteil der Kinder in der Vorschule) und der Jugendarbeitslosigkeit.
     
  • Regelgerechtigkeit besagt, dass gleiches Recht für alle gelten soll. Gesetze sollen nachvollziehbar sein und nachvollziehbar angewendet werden. Im Sport wird das Aufstellen und Einhalten von Regeln auch als Fairness bezeichnet. In den IW-Index sind zum Beispiel das Vertrauen der Bevölkerung ins Parlament und ins Rechtssystem sowie der wahrgenommene Grad an Korruptionsbekämpfung eingeflossen.
     
  • Generationengerechtigkeit erfasst, ob und inwieweit kommende Generationen durch politische Entscheidungen gegenüber der heutigen Generation benachteiligt werden. Beurteilen lässt sich das zum einen anhand der staatlichen Haushaltsführung: Macht der Staat immer neue Schulden oder baut er sie ab? Auskunft über die Gerechtigkeit zwischen den Generationen geben zum anderen der Energieverbrauch, der Anteil der erneuerbaren Energien sowie die Investitionstätigkeit und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung der Unternehmen.

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