Hartz IV
Das "Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", kurz: Hartz IV genannt, wurde am 16. Dezember 2003 vom Bundestag und am 9. Juli 2004 vom Bundesrat mit den Stimmen aller großen Parteien einschließlich der Opposition verabschiedet und trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Hartz IV regelt die Zusammenführung der bisher getrennten Fürsorgeleistungen für erwerbsfähige Langzeitarbeitslose, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum so genannten Arbeitslosengeld II (ALG II). Nicht Erwerbsfähige, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen leben, erhalten Sozialgeld. Der Regelsatz des ALG II/Sozialgeld beträgt 345 Euro plus Unterkunfts- und Heizungskosten. Für erwachsene Partner beträgt er 90 Prozent, für Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr 60 Prozent, bis zum 18. Lebensjahr 80 Prozent des Regelsatzes. Alleinerziehende erhalten einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 36 Prozent des Regelsatzes. Arbeitslose, deren ALG I-Anspruch ausläuft und die deshalb ins ALG II "rutschen," erhalten für zwei Jahre einen befristeten Zuschlag zum ALG II, der den Unterschied zwischen ihrem ALG I und dem ALG II zum Teil kompensiert. ALG II Empfänger, die nur deshalb hilfsbedürftig sind, weil sie Kinder haben, haben Anspruch auf einen Kinderzuschlag, wenn dadurch der ALG II-Bezug entfällt.
Die neue Leistung ist im Sozialgesetzbuch II (SGB II) geregelt. Dieses regelt auch die administrative und fiskalische Verantwortung. Demnach sollen die neuen Leistungen gemeinsam von der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen in so genannten Arbeitsgemeinschaften (ARGEs) erbracht werden. Davon abweichend haben 69 Kommunen und Landkreise (16 Prozent aller) im Rahmen der "kommunalen Option" die Möglichkeit, Langzeitarbeitslose eigenverantwortlich zu betreuen. In 4 Prozent aller Kreise und kreisfreien Städte nehmen die Arbeitsagenturen und die Kommunen ihre Aufgaben getrennt wahr, weil eine ARGE nicht möglich oder gewünscht war. Der Bund finanziert die Leistungen für das ALG II, die Personal- und Verwaltungskosten der Bundesagentur für Arbeit und 29,1 Prozent der Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Kommunen tragen die Kosten für Unterkunft und Heizung abzüglich des Bundesanteils, für spezielle Eingliederungsleistungen und einmalige Leistungen sowie für Personal und Sachmittel im Bereich der Wohnungsfürsorge.
Gemäß dem Leitmotiv "Fördern und Fordern" sieht Hartz IV eine intensive, individuelle Betreuung von Langzeitarbeitslosen vor, um diese nachhaltiger und zügiger in neue Arbeitsverhältnisse vermitteln zu können als im alten System. Die Hilfeempfänger sind zur Teilnahme an Aktivierungsmaßnahmen und zur Annahme von Aktivierungs- beziehungsweise Arbeitsangeboten verpflichtet und können bei Verstößen oder Weigerung sanktioniert werden. Die Jobcenter sollen mit "jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren." Als Leistungen zur Eingliederung stehen auch bestimmte Eingliederungsmaßnahmen im Rahmen des Dritten Sozialgesetzbuches, das die Arbeitslosenversicherung regelt, zur Verfügung. Darüber hinaus können Leistungen zur Kinderbetreuung, Schuldner- oder Suchtberatung, psychosozialen Betreuung u.ä. erbracht werden. Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, "die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden." Sofern diese im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sind, erhalten die Hilfebedürftigen dafür eine "angemessene Entschädigung." Diese beträgt zwischen 1 und 2 Euro pro Stunde, weswegen die Arbeitsgelegenheiten allgemein "Ein-Euro-Jobs"genannt werden, obwohl die Entschädigung zusätzlich zum ALG II gezahlt wird.
Nehmen ALG II Empfänger eine Arbeit im ersten Arbeitsmarkt an, wird ein Teil ihres Erwerbseinkommens nicht auf ihr ALG II angerechnet. Dieser so genannte Erwerbsfreibetrag betrug ursprünglich bei Erwerbseinkommen unter 400 Euro brutto abzüglich der Absetzbeträge für Fahrtkosten, Arbeitskleidung etc. 15 Prozent des Nettoeinkommens, bei Einkünften zwischen 401 und 900 Euro brutto 30 Prozent und bei Einkünften über 900 bis maximal 1.500 Euro 15 Prozent des Nettoeinkommens. Um die Arbeitsaufnahme stärker zu fördern, wurde die Formel zum 1.10.2005 geändert: grundsätzlich freigestellt sind seither 100 Euro. Von Bruttoverdiensten zwischen 101und 800 Euro werden 20 Prozent des Bruttoverdienstes und von Bruttoverdiensten zwischen 801 und 1.200 Euro (1.500 Euro, wenn mindestens ein Kind in der Bedarfsgemeinschaft lebt) 10 Prozent nicht auf das ALG II angerechnet. Kritiker monieren, dass die neue Regel, die Anreize, ALG II mit einer geringfügige Beschäftigung aufzustocken, erheblich erhöht hat, während sich Arbeit immer noch nicht wesentlich mehr lohnt als Arbeitslosigkeit.
Mit der Zusammenlegung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe wurden sowohl erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger, die weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten und zuvor bei den Agenturen für Arbeit nicht arbeitslos gemeldet waren, als auch erwerbsfähige Angehörige ehemaliger Arbeitslosenhilfebezieher in die offizielle Arbeitslosenstatistik aufgenommen. Dieser so genannte Hartz IV-Effekt führte in der Spitze zu einem Anstieg der registrierten Arbeitslosigkeit auf 380.000 Personen. Im März 2007 betrug die Zahl der ALG II-Empfänger 5.194.000, davon waren 51 Prozent arbeitslos, das heisst, sie waren weder in einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt oder in einer Arbeitsgelegenheit noch waren sie vorübergehend nicht arbeitsfähig wegen Schulbesuch, Teilnahme an einer Qualifizierunsmaßnahme, Schwangerschaft, Kinderbetreuung o.ä. Einschließlich der Sozialgeldempfänger bezogen 6.427.000 Menschen (9,6 Prozent der Bevölkerung unter 65 Jahre) in 3.667.000 Bedarfsgemeinschaften SGB II-Leistungen.
Im August 2006 wurden mit dem Hartz IV-Fortentwicklungsgesetz eine Reihe von Ergänzungen, Änderungen und Präzisierungen in den ursprünglichen Text eingefügt. (wp)