Technikfolgenabschätzung (Technology Assessment)
In der technischen Zivilisation ist die ständige Fortentwicklung der Technik zu einer unentbehrlichen Grundlage der Zukunftssicherung geworden. Der Glaube an die "Machbarkeit" gehört zu ihren Grundsätzen. Gleichzeitig hat sich jedoch herausgestellt, dass die moderne Technik nicht nur mit einem höheren Lebensstandard (Chancen), sondern auch unter Umständen mit ungeplanten (nicht mehr rückholbaren) negativen Konsequenzen für die Gesellschaft verbunden sein kann (Risiken); mit letzterem sind Probleme der gesellschaftlichen Akzeptanz verbunden. Die technische Entwicklung selbst vollzieht sich im Rahmen gesellschaftlicher Werte und Orientierungen. Ethisch verantwortbares Handeln muss sich deshalb auch mit seinen Folgen auseinander setzen. Dies gilt in hohem Maße für die Entscheidungsträger in der Politik im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen. Sie werden dabei mit der Problematik der Beurteilung immer komplexerer Techniken konfrontiert (z.B. Gentechnik). Aus dieser Problemlage heraus entwickelte sich die so genannte Technikfolgenabschätzung (TA).
Sie stellt sich als der Versuch einer wissenschaftlich angeleiteten Politikberatung dar, erhebt dabei heute aber nicht den Anspruch, "richtige" Entscheidungen begründen zu können, sondern verfolgt eher das Ziel einer Diskursbelebung sowie einer Sensibilisierung bezüglich möglicher Risiken. Hierzu versteht sie sich als eine integrierte sowie systematische Vorausschätzung und Einschätzung (Bewertung) beabsichtigter oder nicht beabsichtigter direkter wie indirekter Folgen bei der Einführung einer neuen Technik. Ziel ist, auf wahrscheinliche Chancen wie auch Risiken aufmerksam zu machen. Aus der Entwicklungsgeschichte von TA haben sich, so Experten, zwei TA-Modelle herauskristallisiert: das "diskursive" und das "instrumentelle Modell". Die diskursive betont die Funktion der Förderung öffentlicher Technikdebatten und die instrumentelle Variante die von Experten getragene Analyse zur Bereitstellung von Optionen für die Politik.
Historisch betrachtet geht die TA-Debatte bis in die sechziger Jahre zurück, in denen besonders in den USA TA-Konzepte diskutiert wurden. Dies führte 1972 zur Gründung des "Office of Technology Assessment" (OTA) beim amerikanischen Kongress. Es sollte die Frage beantworten, wie verantwortungsvolles politisches Entscheiden angesichts steigender Komplexität und Unsicherheit möglich werden konnte. Der Kongress sollte für seine Auseinandersetzungen mit der Exekutive über Technikfragen besser informiert sein. Ende 1995 wurde das OTA wegen angeblicher Haushaltsengpässe wieder geschlossen.
Inzwischen etablierten sich seit den 80er Jahren bei verschiedenen europäischen Länderparlamenten und auch beim europäischen Parlament TA-Einrichtungen, darunter - nach einer längeren kontroversen Debatte - 1990 auch in Deutschland das "Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag" (TAB). Es stellt eine Mischform zwischen diskursivem und instrumentellem Model dar und wird vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruhe, betrieben. Das Institut kooperiert mit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). Das TAB ist Mitglied im Netzwerk europäischer parlamentarischer TA-Einrichtungen (EPTA-network) sowie im deutschsprachigen "Netzwerk TA (NTA)", das 2004 gegründet wurde. Im Netzwerk haben sich sowohl institutionelle wie persönliche Mitglieder versammelt. Das TAB fertigte unter anderem Studien zum Klonen von Tieren (März 2000), zum E-Commerce (Juni 2002), zur Nanotechnologie (Juli 2003) oder zur Grünen Gentechnik (Juli 2005) an.
Heute zeigt sich, dass TA nicht nur in Deutschland zu einer etablierten Forschungsaufgabe geworden ist. Sie gehört zum Selbstverständnis des Ingenieurwesens sowie auch der Unternehmen selbst, die nicht zuletzt aus Gründen gesamtgesellschaftlicher Mitverantwortung wie auch der Produkthaftung häufig unternehmensintern TA vornehmen oder in Auftrag geben. (Me)