Sterben die Handwerksberufe aus?

Berufsorientierung und Arbeitsmarkt

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
16.03.2022
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Traumjob: Hutmacher! Das hört man heutzutage kaum noch. Kein Wunder, denn wie viele andere traditionelle Berufe ist dieses Handwerk in Deutschland so gut wie ausgestorben. Allerdings wird auch alltäglichen Berufen wie Kassierern oder Konditoren immer häufiger das baldige Aus prophezeit. Werden wir also künftig nur noch an Self-Scan-Kassen anstehen und unsere Geburtstagstorte direkt vom Fließband kaufen?

Abtrittanbieter, Lichtputzer, Drahtzieher – solche Berufe kennen nur noch die wenigsten. Im 18. und 19. Jahrhundert waren sie allerdings enorm wichtig. So sorgten Lichtputzer mithilfe von Kerzen dafür, dass Theaterbesucher abends das Geschehen auf der Bühne überhaupt sehen konnten. Unsere heutige Lichttechnik war damals unvorstellbar.

Gleiches gilt für alle neuen Berufe, die mit der technologischen Entwicklung über die Jahrhunderte und vor allem im vergangenen Jahrzehnt dazugekommen sind: Spezialisten für künstliche Intelligenz, Social-Media-Strategen oder Klimaschutzmanager.

Dass sich die Arbeitswelt wandelt, ist folglich kein neues Phänomen. Früher wie heute gibt es Berufe, in denen die Beschäftigung rückläufig ist, und jene, in denen immer mehr Menschen arbeiten (Grafik):

Während die Zahl der Beschäftigten in Werbung und Marketing von 2012 bis 2020 um nahezu zwei Drittel gestiegen ist, ging sie in der Back- und Konditoreiwarenherstellung um fast 8 Prozent zurück.

 

Schreibt man den fallenden Beschäftigungstrend der Bäcker und Konditoren fort, könnte man meinen, den Berufen stehe eine düstere Zukunft bevor. Auch der Blick auf eine weitere wichtige Kennzahl stimmt zunächst wenig optimistisch. Denn die Automatisierbarkeit, also das Ausmaß, in dem Kerntätigkeiten eines Berufs von einem Computer oder einer computergesteuerten Maschine vollautomatisch erledigt werden könnte, ist in diesen Handwerksberufen hoch:

Sieben von zehn Kerntätigkeiten des Konditorberufs sind laut der Bundesagentur für Arbeit automatisierbar – das Potenzial, menschliche Arbeit durch den Einsatz von Maschinen und Computern zu ersetzen, beträgt also 70 Prozent.

Für die Tätigkeiten von Bäckern und Kassierern beträgt dieses Substituierbarkeitspotenzial sogar 100 Prozent.

Allerdings sind solche Angaben mit Vorsicht zu genießen. Das Aussterben bestimmter Berufe lässt sich nicht eindeutig vorhersagen. Denn eine hohe Automatisierbarkeit bedeutet schließlich keineswegs zwingend, dass tatsächlich und sofort automatisiert wird. Oft ist menschliche Arbeit trotz hohem Substituierbarkeitspotenzial wirtschaftlicher und flexibler.

Auch qualitative und emotionale Werte spielen eine Rolle. So schätzt der ein oder andere die handgefertigte Hochzeitstorte vom Konditor nebenan doch wesentlich mehr wert als ein Massenprodukt vom Fließband.

Ebenso können die Verkäufer hinter der Käse- und Wursttheke im Supermarkt, von denen sich Kunden oft beraten lassen, nicht gleichermaßen von Computern ersetzt werden. Dies gilt noch mehr für das menschliche Auge, das es vor allem in Zeiten von Self-Scan-Kassen braucht, um Kunden bei der Bedienung zu unterstützen und Fehler zu verhindern. Nur weil sich das Berufsbild des klassischen Kassierers verändert, heißt es nicht, dass der Beruf von Grund auf verschwindet. Und tatsächlich:

Der Beschäftigungstrend von Kassierern zeigt trotz hoher Automatisierbarkeit nach oben – im Zeitraum von 2012 bis 2020 verzeichnete der Beruf ein Plus von rund 11 Prozent.

Dass Berufe nicht direkt aussterben, sobald sie automatisierbar sind, sondern sich anpassen und verändern, zeigen auch die Berufsbilder des Kfz-Mechanikers und des Kfz-Mechatronikers. Der Unterschied zwischen den beiden: Der Mechatroniker ist ein Mechaniker, der auch über Kenntnisse der Elektrotechnik verfügt. Er weiß also nicht nur, wie man Autoteile zusammen- und auseinanderbaut, sondern kann zusätzlich mit modernster Fahrzeugtechnik umgehen und diese warten – für den Trend zur Digitalisierung und zum autonomen Fahren unabdingbar.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich Gedanken über bereits reale und künftige Anforderungen der Arbeitswelt zu machen. Gerade junge Menschen können von neuen Berufen und Jobchancen, die durch den digitalen Wandel entstehen, profitieren.

Eine Sonderauswertung der aktuellen PISA-Studie zeigt allerdings, dass sich die meisten 15-Jährigen nach wie vor eher für traditionelle Berufe interessieren (Grafik):

Mit etwa 10 Prozent will die größte Gruppe der Mädchen später als Lehrerin arbeiten. Bei den Jungen steht der Lehrerberuf ebenfalls hoch im Kurs, gleich hinter dem des Polizisten.

Von der Digitalisierung geschaffene Jobmöglichkeiten finden sich zwar in den Berufswünschen der Digital Natives – überwiegend gilt dies für die männlichen Befragten –, jedoch wählt der Großteil noch immer wie die Jugendlichen vor 20 Jahren. Dabei hat sich auf dem Arbeitsmarkt in dieser Zeit viel getan.

Deshalb muss die Berufsorientierung den Schülern frühzeitig ein Bild vom sich wandelnden Arbeitsmarkt vermitteln und Interesse für neu entstandene Jobs wecken – etwa durch Praktika oder Jobmessen. So lassen sich Berührungsängste und Skepsis gegenüber den zunehmend digitalisierten Berufen abbauen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de.