Corona-Fonds: Mehr Wachstumspaket als Soforthilfe
Globalisierung und Europa
Sekundarstufe II
Die EU-Kommission will einen Fonds in Höhe von 750 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Corona-Krise aufsetzen. Dem vorgeschlagenen Verteilungsschlüssel zufolge profitieren vor allem osteuropäische Länder – sie würden nach Berechnungen des IW mehr Transfers erhalten, als sie durch den Einbruch des BIP im Jahr 2020 voraussichtlich verlieren.
Eine gemeinsame Antwort auf die Corona-Krise finden – darauf konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs in der Diskussion über ein Wiederaufbauprogramm für Europa bislang einigen. Ansonsten gibt es wie immer Streit: Wie viel Geld soll in das Hilfspaket? Wie wird es ausgezahlt? Und wer bekommt wie viel?
Auf dem Verhandlungstisch liegt nach dem Vorschlag der Kommission die Rekordsumme von 750 Milliarden Euro – wovon bis zu 500 Milliarden Euro als Zuschüsse und 250 Milliarden als Darlehen an die Mitgliedsstaaten fließen sollen.
Damit würde die Behörde erstmals in ihrer Geschichte Schulden im großen Stil aufnehmen, die über gemeinsame EU-Haushalte in den kommenden Jahrzehnten getilgt werden müssten. Für einige Mitgliedsstaaten – allen voran Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande, mittlerweile auch bekannt als die sparsamen Vier – sind nicht rückzahlbare Zuschüsse in dieser Höhe allerdings ein rotes Tuch. Kredite haben den Vorteil, dass die Kreditnehmer der Kommission das Geld zurückzahlen müssen und diese damit ihre Schulden für den Hilfstopf begleichen kann.
Deutschland, Frankreich und die südeuropäischen Staaten pochen jedoch auf den hohen Anteil an Zuschüssen, da Länder wie Italien und Spanien bereits auf einem hohen Schuldenberg sitzen.
Welche Länder letztlich wie viele Corona-Hilfen bekommen sollen, wurde zwar noch nicht offiziell verkündet. Im Raum steht aber, dass bei der Verteilung vor allem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Arbeitslosenquote als Maßstäbe herangezogen werden.
Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft würden dann vor allem die osteuropäischen Länder profitieren (Grafik):
Setzt man die Zuwendungen aus Brüssel ins Verhältnis zur Wirtschaftsentwicklung seit dem Ausbruch der Krise, wäre Bulgarien größter Nutznießer des Corona-Hilfspakets.
Die bulgarische Wirtschaft dürfte in diesem Jahr zwar laut Prognose der EU-Kommission um 7 Prozent schrumpfen, durch einen EU-Zuschuss von 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gewinnt das Land letztlich aber 8 Prozentpunkte – umgerechnet rund 4,8 Milliarden Euro.
Neben Bulgarien zählen Kroatien, Polen, Rumänien und Lettland zu den größten Profiteuren des Corona-Hilfspakets.
Irland, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland würden zwar ebenfalls Milliardensummen aus dem Hilfsfonds erhalten, doch gemessen an ihrer höheren Wirtschaftskraft und dem angenommenen BIP-Rückgang in diesem Jahr fallen die Hilfen unterm Strich nicht so stark ins Gewicht.
Lettland und die Niederlande zum Beispiel wurden von der Corona-Krise ähnlich stark getroffen; während die Niederlande aber EU-Zuschüsse von knapp 1 Prozent der Wirtschaftsleistung erhalten sollen, bekäme Lettland mehr als9 Prozent.
Auch Deutschland erhielte knapp 29 Milliarden Euro in Form von Transfers, hätte aber bei einem von der EU-Kommission prognostizierten realen BIP-Rückgang in Höhe von 6,5 Prozent wirtschaftliche Verluste von preisbereinigt 223 Milliarden Euro zu verkraften.
Deutschland braucht einen starken EU-Binnenmarkt
Doch auch wenn die Bundesrepublik auf den ersten Blick nicht zu den Abräumern des Hilfspakets gehört, hat sie ein starkes Interesse daran, dass andere EU-Länder wirtschaftlich nicht über die Klinge springen. Deutsche Exportunternehmen brauchen einen starken EU-Binnenmarkt – mehr als die Hälfte der deutschen Warenexporte geht in die 27 Mitgliedsstaaten der EU. Und dieser ist massiv unter Druck, so wie der deutsche Außenhandel insgesamt: Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet damit, dass die deutschen Exporte durch die Krise allein im Jahr 2020 um ein Viertel einbrechen.
Um einen raschen konjunkturellen Impuls für besonders krisengebeutelte Länder handelt es sich bei dem vorgeschlagenen Fördertopf allerdings nicht: Der bisherige Plan sieht vor, dass ein Großteil des Geldes erst ab 2023 ausgeschüttet wird. Die EU-Kommission nutzt vielmehr die Gunst der Stunde, den ohnehin schwächeren Mitgliedsstaaten in schwierigen Zeiten auf die Beine zu helfen und langfristige internationale Wachstumsimpulse ganz im Sinne des Green Deals und des digitalen Wandels zu geben.
Dafür müssten sich die EU-Mitgliedsstaaten bis Ende des Jahres allerdings einigen. Erste Gespräche finden bereits statt, für Mitte Juli ist ein persönliches Treffen der Staats- und Regierungschefs geplant. Eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen wird die Bundesregierung einnehmen, da Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli übernommen hat.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de