Die Schlaglöcher der Seidenstraße

Globalisierung und Europa

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
22.10.2020
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Dem chinesischen Prestigeprojekt der Neuen Seidenstraße droht wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ein herber Rückschlag. Denn die Wirtschaftskrise hinterlässt nicht nur in der Volksrepublik tiefe Wunden, auch die an der Seidenstraße beteiligten Partnerländer stoßen nun an finanzielle Grenzen. China muss daher massive Kreditausfälle fürchten.

Das im Jahr 2013 von China gestartete Megaprojekt „Neue Seidenstraße“ ist ambitioniert – das Infrastrukturprojekt soll dem Land immerhin den Weg zur Weltmacht ebnen: Mit umgerechnet 890 Milliarden Dollar sollten nach ursprünglicher Planung rund 900 Vorhaben in ungefähr 70 Ländern finanziert werden. Das Investitionsvolumen beträgt damit mehr als das Sechsfache jener Gelder, die im Rahmen des Marshallplans zum Wiederaufbau des zerstörten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg flossen.

Mit dem Seidenstraßen-Projekt plant China, die Handelskosten erheblich zu senken, den Warenaustausch zu erhöhen und sich somit geopolitische Vorteile zu sichern. Dafür hat die Regierung um Staatschef Xi Jinping in den vergangenen Jahren bereits fleißig investiert – vor allem in Asien und Afrika:

Zwischen 2000 und 2018 haben chinesische Banken Kredite von insgesamt 152 Milliarden Euro an afrikanische Länder vergeben.

Ohnehin ist China in den vergangenen 20 Jahren zu einem der weltweit bedeutendsten Kreditgeber aufgestiegen. Im Jahr 2017 häuften sich die ausstehenden Schulden chinesischer Gläubiger auf der Neuen Seidenstraße auf mindestens 215 Milliarden Dollar – das entsprach rund 1,5 Prozent des chinesischen Bruttoinlandprodukts (BIP). Zur Jahrtausendwende waren es erst 0,64 Milliarden Dollar.

Allerdings ist der chinesische Kreditvergabeprozess ins Ausland höchst undurchsichtig. Ein Großteil der internationalen Kredite – vor allem an Entwicklungs- und Schwellenländer – taucht in internationalen Datenbanken gar nicht auf. Zudem werfen Kritiker der Volksrepublik vor, mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße vor allem geopolitischen Einfluss gewinnen zu wollen – auch dadurch, dass Kredite für wirtschaftlich unrentable Projekte vergeben werden. China übernahm 2017 beispielsweise für die kommenden 99 Jahre die Kontrolle über den strategisch wichtigen Hafen Hambantota in Sri Lanka, nachdem das Land bei der Kreditrückzahlung Schwierigkeiten hatte.

Durch das Seidenstraßen-Projekt stehen also viele Entwicklungsländer bei China tief in der Kreide. Das bevölkerungsreichste Land der Welt hält mittlerweile rund 17 Prozent der öffentlichen Verschuldung Afrikas. In Pakistan, Weißrussland oder Sri Lanka machen die chinesischen Schulden bereits 10 Prozent des jeweiligen BIP aus. Und gerade diese Länder stehen wegen der Corona-Pandemie derzeit wirtschaftlich schlecht da. Denn in Krisenzeiten ziehen ausländische Investoren oft ihr Kapital aus Entwicklungsländern ab, wodurch die Rezession zusätzlich verstärkt wird.

Allein für März 2020 schätzen Wirtschaftsexperten die Höhe der Kapitalflucht aus Entwicklungs- und Schwellenländern auf etwa 83 Milliarden Dollar.

China hält in diesen Ländern rund 25 Prozent der gesamten Verschuldung. Damit sind die ohnehin risikoreichen Investitionen Chinas in die Seidenstraße durch die Corona-Krise noch unsicherer geworden. Die Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch haben bereits die Kreditwürdigkeit von 29 Ländern, die an der Seidenstraße beteiligt sind, herabgestuft oder mit einem negativen Ausblick versehen. Pakistan, Chinas größter Kreditnehmer auf der Seidenstraße, wackelt bereits, das Land könnte in Zukunft sogar die Einstufung als „hochgradig spekulativ“ verlieren. Ein weiteres Sorgenkind (Grafik):

Äthiopien, das mit 14 Milliarden Dollar bei China in der Kreide steht, wurde in seiner Kreditwürdigkeit schon heruntergestuft.

 

Durch die Verschlechterung der Kreditwürdigkeit stehen für die Volksrepublik insgesamt mindestens 119 Milliarden Dollar auf der Kippe. Aufgrund von Datenlücken ist allerdings davon auszugehen, dass die tatsächliche Summe noch höher ist. Und es ist wahrscheinlich, dass weitere Abwertungen folgen werden, wenn sich die Schuldenlage in den Entwicklungsländern wegen der Corona-Pandemie zuspitzt.

Chinas Wachstumsmodell wird durch die Krise auf die Probe gestellt

Dem chinesischen Prestigeprojekt droht also ein herber Rückschlag. Zwar befindet sich Peking nach wie vor in einer guten Ausgangsposition, da die meisten Kredite über Staatsbanken vergeben wurden, die großen finanziellen Spielraum haben. Allerdings hat auch die chinesische Wirtschaft unter der Rezession der vergangenen Monate stark gelitten. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert wegen des wirtschaftlichen Einbruchs in der ersten Hälfte des Jahres für 2020 nur noch ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent. Und schon vor der Krise haben chinesische Banken damit begonnen, die Kreditvergabe an Entwicklungs- und Schwellenländer herunterzufahren.

Läge der Ausbau der Seidenstraße für eine Weile auf Eis, wäre dies für das Reich der Mitte verkraftbar, auch wenn die Volksrepublik zumindest einige Kredite neu strukturieren oder refinanzieren müssen wird. Doch es stehen eben nicht nur milliardenschwere Investitionen auf dem Spiel. Sollte China einen Großteil seiner Kredite abschreiben müssen, würde dies langfristig auch Chinas Wachstumsmodell infrage stellen, das größtenteils auf Kreditexpansion basiert.

Wegen des Schuldenüberhangs und der gestiegenen Kreditrisiken setzt die chinesische Regierung auf fiskalpolitische Instrumente wie Senkung der Mehrwersteuer und Zinsstundung für kleine Unternehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln – anstelle einer erneuten Kreditexpansion, wie Peking es 2008 als Antwort auf die Finanzkrise veranlasst hatte.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de