Russische Wirtschaft in der Abwärtsspirale
Globalisierung und Europa
Sekundarstufe II
Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Welt politisch und ökonomisch verändert. Die westlichen Staaten koppeln sich zunehmend von Russland ab. Die Sanktionen sowie die Tatsache, dass Russland vor allem Rohstoffe exportiert, werden das Land mittelfristig weit zurückwerfen.
Der 24. Februar 2022 war der Beginn einer Zeitenwende. Durch seinen Angriffskrieg auf die Ukraine hat Russland die Weltordnung erschüttert. Westliche Staaten reagierten vor allem mit Sanktionen gegen Russland und unterstützen seither die Ukraine mit Geld und Waffenlieferungen.
Die Abkopplung des Westens führt dazu, dass sich die verbliebenen politischen und wirtschaftlichen Optionen für Russland auf China, Indien, die Türkei und einige Randstaaten beschränken. Der Effekt lässt sich bereits auf der Importseite feststellen (Grafik):
Die Ausfuhren aus Kanada nach Russland sind im Juni 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 98 Prozent zurückgegangen.
Auch die USA, das Vereinigte Königreich und die EU lieferten deutlich weniger. Interessant: Auch die Exporte aus China nach Russland sind stark gesunken, was darauf hinweist, dass das Land nicht systematisch die Sanktionen des Westens unterläuft. Einzig die Türkei und die ehemaligen Sowjetstaaten bauten den Handel zu Russland aus. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um die Einbußen im Handel mit anderen Partnern auszugleichen.
Westliche Sanktionen zeigen Wirkung
Während bei geopolitischen Konflikten in der Vergangenheit Russland weiter Erdgas und Öl nach Europa lieferte, gehen Experten davon aus, dass der aktuelle Ausfuhrstopp lang anhaltend sein wird. Nach Ansicht vieler Ökonomen werden die Sanktionen des Westens, die zum Teil schon wirken, in einigen Jahren beispiellose Effekte auf die russische Volkswirtschaft haben. Europa fällt als Absatzmarkt für russische Gas-, Öl- und Kohleexporte unwiederbringlich aus und gleichzeitig wird Russland ohne wichtige Hochtechnologieimporte aus dem Westen auskommen müssen.
Für die Russen kommt erschwerend hinzu, dass sie ihre Volkswirtschaft zuletzt stark auf den Rohstoffsektor konzentriert haben. Die Montanindustrie, also der Abbau und die Verarbeitung von Rohstoffen wie Gas und Öl, nimmt eine herausragende Stellung ein. Sie ist Moskaus wichtigste Quelle sowohl für Deviseneinnahmen als auch für die wirtschaftliche Entwicklung und trägt so maßgeblich zum Wohlstand bei.
Und die Abhängigkeit Russlands von diesem Wirtschaftszweig hat sich in den vergangenen 20 Jahren noch vergrößert (Grafik):
Von 2003 bis 2021 steuerte die Montanindustrie nahezu 80 Prozent zum Wachstum der russischen Wirtschaft bei.
Ihr Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung stieg von 9 auf 15 Prozent – damit ist sie die wichtigste Industriebranche in Russland.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Exporten wider. Anfang des Jahrtausends machten fossile Brennstoffe 43 Prozent der russischen Warenausfuhren aus, im Jahr 2021 lag ihr Anteil bei 53 Prozent.
Konzentration auf Rohstoffe schadet
Unabhängig von den Sanktionen kann eine solche Fokussierung auf den Rohstoffsektor für eine Volkswirtschaft zum Problem werden und eine De-Industrialisierung einleiten. Ökonomen bezeichnen das als „holländische Krankheit“: Die verlockend hohen Gewinne im Rohstoffsektor führen dazu, dass Ressourcen aus dem Verarbeitenden Gewerbe und der Landwirtschaft in den boomenden Sektor verlagert werden. Dort steigen die Löhne stark, was eine weitere Abwanderung von Beschäftigten aus den lahmenden Industrien in den Rohstoffsektor zur Folge hat. Auch der Dienstleistungssektor floriert, weil er indirekt von den hohen Einnahmen der Rohstoffbranche über den Konsum profitiert.
Zusätzlich sinken durch die Aufwertung der heimischen Währung aufgrund von Devisenzuflüssen die Kosten für Importwaren, sodass inländische Güter Stück für Stück durch Einfuhren ersetzt werden.
In Russland sind erste Anzeichen dieser „holländischen Krankheit“ klar zu erkennen: Zwischen 2003 und 2021 gewann die Montanindustrie etwa 230.000 Arbeitsplätze hinzu, dagegen verlor das Verarbeitende Gewerbe mehr als 2,8 Millionen Arbeitsplätze. Die eindeutige Gewinnerbranche ist der Dienstleistungssektor mit einem Plus von knapp zehn Millionen Beschäftigten.
Die Zuwächse in der Chemie- und Pharmaindustrie sowie der Metallbranche scheinen der These der De-Industrialisierung Russlands zu widersprechen – aber nur auf den ersten Blick. Nach der rechtswidrigen Annexion der Krim 2014 setzte Putin aufgrund erster ausländischer Sanktionen auf eine industrielle Importeinschränkung und eigene Industrieproduktion. Zwar wuchsen so die oben genannten Sektoren, Qualität und Wettbewerbsfähigkeit litten jedoch.
Und Russland steht noch vor einem weiteren Zukunftsproblem:
Der selbst angezettelte Ukraine-Krieg und die angeordnete Teilmobilmachung hat viele gut ausgebildete Russen dazu bewogen, das Land zu verlassen.
Ökonomen sprechen in so einem Fall vom „Braindrain“. Durch die Auswanderungen geht wichtiges Wissen für die Wirtschaft verloren. Für Russland sind aufgrund all dieser Aspekte erhebliche Wohlstandsverluste zu erwarten. Die Wirtschaft wird mit niedrigeren Standards und Produktqualitäten auskommen müssen. Den russischen Präsidenten wird diese Misere wohl trotzdem nicht von seiner selbst ernannten historischen Mission abbringen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de