Russlands Wirtschaft auf Talfahrt
Globalisierung und Europa
Sekundarstufe I + II
Hohe Infektionszahlen, sinkende Ölpreise und ein starker Einbruch der Industrieproduktion – die Corona-Pandemie hat die russische Wirtschaft schwer getroffen. Dabei hatte sich das Land durch strikte Sparmaßnahmen gerade erst halbwegs stabilisiert.
Nach mehr als zwei Monaten massiver Einschränkungen des öffentlichen Lebens ist auch Russland Anfang Juni zur Normalität zurückgekehrt. Allerdings ist das Land noch immer ein Zentrum der Corona-Pandemie: Ende Juli gab es offiziell etwa 770.000 Infizierte und mehr als 12.000 Todesfälle. Nur die USA, Brasilien und Indien stehen bei den Infektionszahlen noch schlechter da. An anderer Stelle droht eine ebenso schwerwiegende Krise, denn auch die russische Wirtschaft hat durch den Lockdown stark gelitten.
Die Pandemie trifft die russische Wirtschaft in einer ohnehin schwierigen Zeit. Seit der russischen Annexion der Krim 2014 und den folgenden Sanktionen der EU und USA ist das jährliche Wirtschaftswachstum – mit Ausnahme von 2018 – unter 2 Prozent geblieben. Diese Entwicklung ist zum Teil hausgemacht, denn Russlands Staatshaushalt wird seit jeher aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft gespeist. Fällt also der Ölpreis, schwächelt die Konjunktur. Und genau das passiert derzeit – wie schon in der Finanzkrise von 2008/2009 und der Ukraine-Krise ab 2014 (Grafik):
Nach neuesten IWF-Prognosen wird das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 um voraussichtlich 6,6 Prozent schrumpfen.
Hinzu kommt, dass der russische Außenhandel noch immer von Wirtschaftssanktionen betroffen ist. Erst Mitte Juni kündigten die EU-Staats- und Regierungschefs an, die Sanktionen wegen der festgefahrenen Situation in der Ukraine zu verlängern. Auch die Handelsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland sind seit 2014 ins Stocken geraten. Allein bis 2015 verringerte sich das Handelsvolumen von 70 auf 46 Milliarden Dollar – und es hat sich mit 53 Milliarden Dollar im Jahr 2019 nur leicht erholt. Dennoch ist die Bundesrepublik einer der bedeutendsten Handelspartner Russlands – im vergangenen Jahr war Deutschland das zweitwichtigste Lieferland und drittwichtigster Abnehmer russischer Produkte. Russland kauft in Deutschland vor allem Maschinen sowie Autos und Autoteile ein, Deutschland importiert aus Russland in erster Linie natürliche Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Kohle (Grafik):
Russland exportierte 2018 mineralische Brennstoffe im Wert von 16 Milliarden Dollar nach Deutschland – dies entsprach 47 Prozent aller russischen Exporte in die Bundesrepublik.
Das Geschäft mit dem Öl ist für beide Seiten wichtig – rund 33 Prozent aller deutschen Rohölimporte kamen 2018 aus Russland. Der Anteil russischer Kohle am gesamten Kohleimport Deutschlands stieg trotz der Sanktionen zwischen 2013 und 2018 sogar um 12 Prozentpunkte auf 36 Prozent.
Nun drohen dem flächenmäßig größten Land der Erde neben der Corona-Pandemie und den fallenden Ölpreisen noch weitere Schockmomente: Schwellenländer sind in Krisen oft zusätzlich von einer hohen Verschuldung, einer rasch zunehmenden Kapitalflucht und einer Abwertung der Landeswährung betroffen. Letzteres ist bereits der Fall: Mussten Anfang des Jahres nur rund 70 Rubel je Euro gezahlt werden, waren es Ende März rund 88 Rubel. Mitte Juni erholte sich der Wechselkurs zwar auf 78,8 Rubel –dies bedeutet jedoch immer noch einen Wertverlust von 11 Prozent seit Jahresbeginn. Die stark importabhängige russische Wirtschaft leidet unter dieser Abwertung, da sich Importe verteuern und die Auslandsschulden erhöhen.
Stabilisierung durch Sparmaßnahmen
Allerdings scheint es, als habe Russland aus der vorherigen Wirtschaftskrise gelernt: In den vergangenen Jahren versuchte das Land, mit strikten Sparmaßnahmen seine makroökonomische Situation zu stabilsieren und den Staatshaushalt zu stärken. Dazu führte die russische Regierung im Jahr 2016 eine neue Fiskalregel ein, nach der ein Teil der Öl- und Gaseinnahmen in einen nationalen Wohlfahrtsfonds fließt. Anfang April hatte der Fonds ein Volumen von rund 165 Milliarden Dollar – das entspricht mehr als 11 Prozent des BIP. Russland hat zudem seine Staatsverschuldung kontinuierlich abgebaut, von rund 56 Prozent des BIP im Jahr 2000 auf 14,6 Prozent im Jahr 2018. Dadurch wurde das Land weniger abhängig von internationalen Geldgebern.
Diese Maßnahmen haben die russische Wirtschaft widerstandsfähiger gemacht. Ob sie ausreichen, um die Krise abzufedern, bleibt jedoch abzuwarten. Das Land leidet noch immer unter schwerwiegenden strukturellen Problemen. Dazu gehören der schwache Industriesektor, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, die breite Beteiligung des Staates an der Wirtschaft sowie die weitverbreitete Korruption.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de