Strompreise: Welches Land bremst besser?
Staat und Wirtschaftspolitik
Sekundarstufe II
Überall in Europa sind die Strompreise 2022 rasant gestiegen. Um die Verbraucher zu entlasten, gilt in Deutschland seit Jahresanfang eine Strompreisbremse. Spanien und Portugal haben bereits seit Mai 2022 eine Preisbremse für Strom. Doch welches Modell ist das bessere?
In Deutschland sind die Strompreise für Verbraucher von 2020 bis ins zweite Halbjahr 2022 deutlich gestiegen (Grafik):
Für Haushalte verteuerte sich Strom im Schnitt um knapp ein Viertel.
Die deutsche Industrie – für die der Strompreis ein wichtiger Faktor bei der Wahl des Produktionsstandorts ist – erlebte einen noch größeren Preisschock (Grafik):
Für Industriekunden haben sich die Strompreise in Deutschland in den vergangenen drei Jahren verdreifacht.
Die Preissprünge sind primär auf die höheren Beschaffungskosten zurückzuführen. Denn vor allem in Zeiten hoher Nachfrage wird an der Strombörse auf Strom zurückgegriffen, der in Gaskraftwerken produziert wird – und Gas ist seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine besonders teuer geworden. Im August 2022 stieg der Börsenstrompreis in Deutschland für eine Megawattstunde zwischenzeitlich auf knapp 600 Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 lag der durchschnittliche Großmarktpreis lediglich bei gut 30 Euro.
Um die Haushalte und Unternehmen zu entlasten, setzen viele Regierungen auf wirtschaftspolitische Eingriffe. So haben Spanien und Portugal im Mai 2022 mit Einwilligung der EU-Kommission eine koordiniert durchgeführte Preisbremse beschlossen, das sogenannte iberische Modell. Gas- und Kohlekraftwerke erhalten demnach eine Zahlung, die die Betriebskosten abflachen und zu niedrigeren Preisgeboten an den Strombörsen führen soll. Die Summe ergibt sich aus der Differenz des jeweiligen Gaspreises und des staatlich bestimmten Referenzpreises. Die Kosten der Preisbremse werden auf die Haushalte umgelegt. Ziel ist es, die Strompreissteigerungen so weit zu reduzieren, dass die Ersparnisse höher sind als die zu entrichtende Abgabe.
Das iberische Modell setzt also vor der Preisbildung an den Strombörsen an. So werden vor allem Gaskraftwerke subventioniert, die ihren Strom dann günstiger an der Börse anbieten können. Tatsächlich funktioniert das Modell (Grafik):
Im August 2022 war der Börsenstrompreis in Spanien bereits knapp 10 Prozent niedriger als vor der Modelleinführung, während die Preise in Deutschland ihr bisheriges Rekordniveau erreichten.
Andererseits verzerrt der Preisdeckel das Knappheitssignal beim Gas: In den ersten Monaten nach Einführung der Preisbremse wurden in Spanien täglich bis zu 139 Gigawattstunden mehr Gas zur Stromerzeugung genutzt, als ohne diesen Eingriff zu erwarten gewesen wäre.
Vom iberischen Modell profitiert hat auch Frankreich, das deutlich mehr relativ günstigen Strom aus Spanien importieren konnte. In Frankreich waren die Stromkosten im vergangenen Jahr hoch, weil das Land nur wenig eigenen Strom erzeugen konnte – viele französische Atomkraftwerke waren außer Betrieb. Grundsätzlich ist die Stromversorgung der Iberischen Halbinsel aber deutlich weniger mit anderen europäischen Staaten vernetzt als etwa in Deutschland, sodass die Anreize, Strommengen aus Gas zu exportieren, begrenzt sind.
In Deutschland gibt es eine Art Transferzahlung
Apropos Deutschland: Die Bundesregierung beschloss im Dezember 2022 ebenfalls eine Preisbremse für Strom. Sie deckelt den Preis für Haushalte und kleinere Unternehmen auf 40 Cent je Kilowattstunde für ein Gesamtkontingent in Höhe von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Für Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von 30 Megawattstunden und mehr werden 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs auf 13 Cent je Kilowattstunde gedeckelt – zuzüglich aller Netzentgelte, Steuern und weiterer Abgaben. Die Kosten der Maßnahme soll eine Abgabe von Zufallsgewinnen decken: Dabei werden die Erlöse der Stromerzeuger oberhalb eines definierten Grenzwerts anteilig abgeschöpft, wobei Strom aus Erdgas und Steinkohle von der Regel ausgenommen sind.
Die deutsche Strompreisbremse greift somit erst nach der Preisbildung an der Strombörse und setzt direkt bei den Verbraucherpreisen an, wo sie als eine Art Transfer die zusätzliche Last der stark gestiegenen Großhandelspreise abmildert.
Die Preisbremsen in Deutschland und dem iberischen Marktgebiet unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der gesetzten Verhaltensanreize. Grundsätzlich sollten Ausgleichsmaßnahmen wie diese berücksichtigen, dass Preise Knappheitssignale transportieren. Eine Implementierung des iberischen Modells auf europäischer Ebene ist daher schwer vorstellbar, da wichtige Sparanreize verzerrt werden und die Verbraucher weniger Strom und Gas sparen dürften.
Dem iberischen Modell fehlen die Sparanreize
Hinzu kommt, dass für Deutschland und viele weitere europäische Länder der Ersatz russischer Gaslieferungen eine große Herausforderung darstellt, während Spanien aufgrund der umfangreichen Importinfrastruktur für verflüssigtes Gas (LNG) und Pipelineverbindungen nach Nordafrika deutlich weniger betroffen ist. Die deutsche Strompreisbremse stellt ohnehin eher einen gedeckelten Rabatt als eine wirkliche Bremse dar. Denn durch die Ausgestaltung ergibt sich lediglich ein maximaler Zuschuss, mit dem die Verbraucher entlastet werden. Beim iberischen Modell fehlt diese Begrenzung und von dem dort gewährten Rabatt profitieren die Endkunden auch bei jeder weiteren verbrauchten Kilowattstunde, was jegliche Sparanreize beseitigt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de