Inflexibilität im Energiesektor kostet
Unternehmen und Markt
Sekundarstufe I + II
Immer wieder rutscht der Strompreis in Deutschland in den negativen Bereich – zuletzt im Februar 2020. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien steigt das Risiko des Preisverfalls. Die mangelnde Flexibilität konventioneller Kraftwerke trägt ebenfalls ihren Teil zu diesem Phänomen bei. Um die Preise stabil zu halten, ist deshalb ein weiterer Umbau des Energiesektors nötig.
Die erneuerbaren Energien sind in den vergangenen Jahren in Deutschland massiv ausgebaut worden und haben einen immer größeren Anteil an der Stromerzeugung:
Im Jahr 2019 war die Windenergie mit gut 20 Prozent erstmals wichtigster Energieträger im deutschen Strommix – noch vor der Braunkohle.
An besonders wind- und sonnenreichen Tagen decken die Erneuerbaren bereits bis zu 80 Prozent des deutschen Strombedarfs ab.
Trotz der Fortschritte gibt es Probleme in der deutschen Stromversorgung. Das unterstreicht der deutliche Anstieg der Stunden mit negativem Strompreis (Grafik):
Im Jahr 2013 fiel der Strompreis in Deutschland in 64 Stunden in den negativen Bereich, 2019 waren es bereits 211 Stunden.
Verursacht wird dieses Phänomen von zwei Faktoren, die zusammenkommen: Auf der einen Seite gibt es eine kurzfristig starke Einspeisung von erneuerbarer Energie in das Stromnetz – auf der anderen Seite können nicht alle konventionellen Kraftwerke entsprechend herunterfahren oder ihre Stromerzeugung anpassen. Folglich entsteht ein deutliches Überangebot auf dem Strommarkt. Das wiederum führt zu einem Preisverfall an der Börse.
Überschüssiger Strom wird in der Regel an die Nachbarländer abgegeben, und zwar zu negativen Preisen. Vereinfacht gesagt: In Zeiten negativer Strompreise bezahlen die deutschen Kraftwerksbetreiber für die Abnahme des überschüssigen Stroms (Grafik).
Das Problem des Stromüberschusses geht vor allem auf Braunkohle- und Atomkraftwerke zurück:
Während moderne Steinkohle- und Gaskraftwerke ihre Erzeugung deutlich drosseln oder einzelne Kraftwerke abschalten können, ist dies bei der Braunkohle und der Kernenergie nur sehr bedingt möglich.
Vor allem Kernkraftwerke werden auch in Zeiten negativer Strompreise häufig mit hoher Auslastung betrieben. Auch Braunkohlekraftwerke können ihre Erzeugungsleistung in der Regel nur um etwa 50 Prozent drosseln, eine vorübergehende Abschaltung ist aufgrund langer Anlaufzeiten mit hohen Kosten verbunden. Doch je mehr von diesen Anlagen am Netz sind, desto größer ist das Risiko negativer Strompreise.
Mit steigenden Anteilen der erneuerbaren Energien in Deutschland kommt es häufiger zu Überschüssen in der Stromerzeugung.
Die Folgen spüren auch die deutschen Stromkunden. Da den Betreibern von Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen, über die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Differenz zwischen dem Vergütungssatz und dem Marktpreis gezahlt wird, entstehen in Zeiten negativer Strompreise besonders hohe Förderkosten:
Bereits für 2013 schätzte die Denkfabrik Agora Energiewende die zusätzlichen Kosten gemäß EEG auf 24,5 Millionen Euro – und seither hat sich die Zahl der Stunden mit negativen Strompreisen mehr als verdreifacht.
Mit der sogenannten Sechs-Stunden-Regel werden die Mehrkosten seit dem Jahr 2017 zumindest begrenzt. Die Regel besagt, dass Betreiber von EEG-Anlagen für einen Zeitraum mit negativen Strompreisen keine Vergütung erhalten, wenn dieser länger als sechs Stunden andauert.
Damit es in Zukunft nicht immer häufiger negative Strompreise gibt, muss der deutsche Stromsektor flexibler werden. Kurzfristig könnten vor allem Großkunden aus Industrie und Gewerbe mit einer zeitlichen Flexibilisierung ihres Strombezugs helfen, Schwankungen in der Stromeinspeisung aufzufangen. Langfristig muss die sektorenübergreifende Nutzung von Überschussstrom zur Erzeugung von klimafreundlichem Wasserstoff im Rahmen der geplanten nationalen Wasserstoffstrategie und zur Wärmeerzeugung vorangetrieben werden. Gleichzeitig kommt auch dem Netz- und Speicherausbau eine tragende Rolle zu – hier sollte Deutschland in den kommenden Jahren verstärkt investieren.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de