Deutsche Wirtschaft baut China-Geschäft aus
Unternehmen und Markt
Sekundarstufe I + II
Die wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren – das predigen Politik und Wirtschaft in Deutschland seit geraumer Zeit. Doch die Realität sieht anders aus: Noch nie waren die Direktinvestitionen deutscher Firmen im Reich der Mitte so hoch, Gleiches gilt für die Importe. Sollte es zu einem wirtschaftlichen Konflikt mit China kommen, droht einigen Unternehmen womöglich sogar die Pleite.
Deutschland ist wirtschaftlich abhängig von anderen Ländern. Das zeigt die Gaskrise durch Russlands Krieg in der Ukraine schmerzlich. Und es droht schon das nächste Problem: Sollte China den Konflikt mit Taiwan eskalieren lassen, sind internationale Wirtschaftssanktionen gegen das bevölkerungsreichste Land der Welt wahrscheinlich. Das hätte – wie die bestehenden Russland-Sanktionen – Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft.
Aus diesem und anderen Gründen ist es verständlich, dass sich Politik und Wirtschaftsvertreter in Deutschland seit Längerem dafür aussprechen, die Abhängigkeit von China zu verringern. Unverständlich dagegen ist, dass die deutschen Unternehmen genau gegenteilig handeln. Die Tragweite des Problems zeigt eine aktuelle Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft. Gleich in mehreren Bereichen bieten die Zahlen Anlass zur Sorge, etwa bei den Investitionen (Grafik):
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 investierten deutsche Unternehmen 10 Milliarden Euro in China. Der Halbjahreswert liegt damit höher als alle Werte für die kompletten Jahre seit dem Jahr 2000.
Gegenüber dem Gesamtjahr 2021 bedeutet der aktuelle Halbjahreswert einen Anstieg um 75 Prozent.
Die deutschen Unternehmen geben aber nicht nur mehr Geld für ihre geschäftlichen Aktivitäten in China aus. Beim Warenhandel zeigt die Tendenz ebenfalls in die falsche Richtung:
Während die deutschen Exporte nach China im Vergleich zu 2021 im ersten Halbjahr nur um 2,9 Prozent stiegen, legten die Importe um 45,7 Prozent zu.
Unter dem Strich kam von Januar bis Ende Juni rund ein Achtel aller deutschen Importe aus dem Reich der Mitte – das ist der höchste jemals erreichte Anteil (Grafik).
Auf der anderen Seite erreichten die Exporte aus Deutschland nach China anteilig nur 7,4 Prozent.
Entsprechend negativ hat sich der Handelsbilanzsaldo, also der Wert der Ausfuhren nach China abzüglich der Einfuhren nach Deutschland, entwickelt (Grafik):
Allein im ersten Halbjahr 2022 überstiegen die deutschen Ausgaben für Waren aus China die Einnahmen um 41 Milliarden Euro.
Nie zuvor hatte die deutsche Wirtschaft solch eine negative Handelsbilanz mit dem Reich der Mitte.
All diese Daten belegen: Die Antwort vieler deutscher Firmen auf die geopolitischen Risiken und den Handelskrieg zwischen den USA und China ist derzeit mehr China statt weniger. Kurzfristige Gewinne scheinen oft attraktiver, als das langfristige Risiko einer zu großen Abhängigkeit zu senken. Für einige Unternehmen könnte dieses Vorgehen bei einem Handelskonflikt mit China existenzbedrohend werden.
Was die Politik tun kann
Die Politik ist nun gefragt, umgehend gegenzusteuern. Sie hat dabei mehrere Hebel, mit denen sie ansetzen kann.
Diversifizierung fördern. Der Aufbau von Handels- und Investitionsbeziehungen mit anderen Schwellenländern, vor allem in Asien, ist eine Möglichkeit, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Dazu ist eine flexiblere EU-Strategie bei Freihandelsabkommen unverzichtbar.
Staatliche Absicherung abschaffen. Die deutsche Politik sollte bestehende positive Anreize für ein Engagement in China zeitnah abbauen. Dazu gehört die staatliche Absicherung von politischen Risiken durch Investitionsgarantien. Das ausverhandelte bilaterale Investitionsabkommen zwischen der EU und China sollte außerdem nicht ratifiziert werden, weil es Investitionen in China noch weiter fördert.
Risikomanagement einfordern. Ähnlich wie im Bankensystem braucht es auch im Geschäft mit China ein fokussiertes Risikomanagement. Es geht darum, systemische Risiken für die deutsche Volkswirtschaft zu verhindern, damit der deutsche Steuerzahler nicht mit Geld und Garantien in die Bresche springen muss, wenn es zu größeren Verlusten kommt. Die Politik sollte Unternehmen dazu anhalten, in ihren Geschäftsberichten geopolitische Klumpenrisiken zu dokumentieren und zu bewerten sowie Notfallpläne zu erstellen. Firmen mit sehr hohen Risiken kann der Staat zudem verpflichten, Kapitalrücklagen zu bilden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de